Erfrischend anders oder eher WTF? - Erste Impressionen von Opera Neon

Browser - die allermeisten von uns benutzen sie täglich, ohne sie noch wirklich wahrzunehmen. Dies fällt einem auch zunehmend schwer, denn wenn man mal ehrlich ist halten sich die Unterschiede zwischen verschiedenen Browsern mittlerweile auch stark in Grenzen. Nicht nur, dass Firefox, Chrome, Edge, oder Opera alle auf ein oder zwei Rendering Engines zurückgreifen, es gibt auch kaum noch Unterschiede beim Interface. Tabs, Bookmarks, eine kombinierte Adress/Suchleiste, etc. bieten mittlerweile alle an, und oftmals gibt es nur noch kleine Unterschiede beim optischen Design der jeweiligen Browser. Es wirkt alles irgendwie...erstarrt. Für einen Blogger wie mich, der doch einiges an Zeit in Safari, Chrome, etc. verbringt ist das auf Dauer etwas langweilig.
Das dachten sich offenbar auch die Jungs bei Opera. Die Skandinavischen Browser-Pioniere haben vor einigen Tagen Opera Neon veröffentlicht, etwas, was sie einen "Konzept-Browser" nennen, der sich an jüngere User richtet, und mit dem sie herausfinden wollen, wie ein zukünftiger Browser aussehen könnte. Die Foren auf Heise Online sind schon wieder voll von selbsternannten IT-Gurus, die Opera Neon rundheraus verdammen, und jeden, der den Browser auch nur andeutungsweise positiv betrachtet als geistig zurückgebliebenen Vollidioten darstellt. Das war für mich der ausschlaggebende Faktor, jedes Produkt dass von diesen soziopathischen Einbildungsbürgern verdammt wird, kann nach meiner Erfahrung nicht ganz schlecht sein.
Eine Runde Sache. Die Oberfläche von Neon ist erfrischend anders.
Eines muss man Neon von vornherein lassen: Es ist was ganz anderes. Das Eckige, kantige Design handelsüblicher Browser wurde hier komplett links liegen gelassen. Stattdessen schnappt sich Neon den aktuellen Desktophintergrund, und verwendet ihn auch als Browserhintergrund. Ebenso verschwunden ist die traditionell "horizontale" Aufteilung von Adresszeile, Tab-Leiste, und Bookmark-Leiste. Stattdessen weist Neon eine vertikale Gliederung auf. Links hat man Zugriff auf die Einstellungen und Downloads. Ebenso kann man in dieser Leiste "Snaps", also Schnappschüsse von Websites machen, und sich dann anzeigen lassen, auch wenn die Website geschlossen ist. Ebenfalls dort befindet sich etwas, was die Jungs von Opera als Player bezeichnen. Eingebettete Videos, z.B. von Youtube, werden dort angezeigt, lassen sich auswählen, abspielen, und auch in eine Art Mini-Player einbetten, der sich frei verschieben lässt. Ganz praktisch für Leute, die z.B. Twitch-Streams nicht aus dem Auge verlieren wollen, während sie eigentlich etwas ganz anderes machen.
Die Snaps sind eine nette Idee, es wäre nur schön, wenn es nicht nur Bilder, sondern Web Apps wie im MacOS-Dashboard wären.
Der Player zeigt alle Tabs mit integriertem Video an.
Von dort aus lassen sich die Videos ganz einfach in einen Miniplayer umwandeln, und verschieben.
Der mittlere Bereich enthält die als Omnibox bezeichnete kombinierte Address-, und Suchleiste, ebenso wie das Neon-Gegenstück zur Speed-Dial-Funktion des klassischen Opera. Die Blasen für die verschiedenen Websites werden dabei automatisch angeordnet, je nachdem, welche am meisten genutzt werden. Dies wird vermutlich erst nach einer gewissen Nutzungsdauer geschehen, ansonsten wären bei mir schon Blogger.com, Twitter, Facebook, Wordpress, Youtube, und das Webportal meiner Netatmo-Wetterstation ganz oben. Ganz praktisch ist, dass Neon eine Side-by-Side-Ansicht bietet, wie ich es bereits von MacOS gewohnt bin. bei mir auf meinem MacBook Air wirkt das ganze zwar etwas "beengt", ich kann mir aber durchaus vorstellen, wie praktisch das manchmal sein kann. Schön ist auch, dass hier der Desktophintergrund angezeigt wird. Dieser wird ja oftmals sträflich ignoriert, oder von anderen Apps verdeckt.
Der Split-Screen-Modus ist bei mir zwar recht beengt, aber eigentlich ganz praktisch.
Schließlich gibt es noch den rechten Rand des Fensters. Im Gegensatz zum rechten Rand in der wirklichen Welt, also AfDeppen, Pegidioten, und anderen Wohlstandsrassisten, ist der in Neon tatsächlich brauchbar, hier werden nämlich die offenen Tabs angezeigt, und zwar wiederum vertikal arrangiert. Um eine Seite zu bookmarken, reicht es einfach aus, sie zu minimieren, und in den mittleren Bereich zu ziehen. Schon ist die Seite gespeichert. 
Wie schlägt sich das ganze denn jetzt im täglichen Betrieb? Nun, ich habe diesen ganzen Artikel in der Weboberfläche von blogger.com in Neon auf Mac OS Sierra 10.2.3 (Public Beta) geschrieben. Die von anderen Usern beobachteten Performance-Probleme konnte ich bis dato noch nicht beobachten. Ganz im Gegenteil, nach meinen bisherigen Erfahrungen ist Opera Neon ziemlich flott, und die Bedienung ist eigentlich überraschend intuitiv. Ich kann mir vorstellen, dass der Browser gerade auf Touchscreen-Systemen recht bequem zu bedienen sein sollte. Aber auch klassische Maus-, oder Trackpad-Nutzer sollten keine Schwierigkeiten haben, mit Neon klarzukommen. 
Es ist aber auch ziemlich klar, dass Neon noch nicht ausgereift ist. Es gibt z.B. keinerlei Möglichkeiten, Bookmarks aus anderen Browsern zu importieren. Die Einstellungen sind einerseits recht versteckt, und zusätzlich auch noch ziemlich verschachtelt, was gerade bei Umsteigern von anderen Browsern zu Verwirrungen führen kann. Eine kleine Einführung wäre hier praktisch. Was mir ebenfalls fehlt, ist die Möglichkeit Tabs, etc. zu gruppieren, bzw. in Ordnern anzuordnen. Die momentan fehlende Unterstützung von Addons wie AdBlock, etc. ist ebenfalls ein großer Minuspunkt. Der größte Fehler ist jedoch Mac-spezifisch. Wenn ich in MacOS Neon in den Vollbild-Modus schalte, werden die rechte und linke Leiste ausgeblendet, und der mittlere Bereich übernimmt den kompletten Bildschirm. Selbst die Adressleiste des offenen Tabs wird komplett ausgeblendet. So wird der Browser im Vollbild-Modus quasi unbrauchbar, da man nicht mal mehr in andere Tabs wechseln, oder gar andere Seiten aufrufen kann. Das sollte schnellstens ausgebessert werden.
Trotz dieser Minuspunkte ist Opera Neon ein sehr interessantes Konzept, dass hoffentlich weiterentwickelt, und zu einem vollwertigen Browser werden wird. Es bringt jede Menge frischen Wind in den Browser-Markt, und ist bereits jetzt überraschend ausgereift und leistungsfähig. Außerdem ist der Hass der Heise-Online-User auf dieses Produkt einfach schön mit anzusehen 😈 😎

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