Verlogenheit hoch 3 - Gedanken zum 3. Oktober

Der 3. Oktober. Kaum ein Deutscher kennt diesen Tag nicht, schließlich wird an ihm doch die Wiedervereinigung Deutschlands gefeiert. Für viele Deutsche ist er trotzdem nicht mehr als ein gern gesehener freier Tag (sofern er nicht, wie dieses Jahr, auf ein Wochenende fällt, haa, haa!), der von den Politikern gerne zur Selbstbeweihräucherung und Inszenierung dargestellt wird. Immerhin war die Wiedervereinigung doch ein Riesenverdienst der Politik.
Mein Gott, ist mir nach dem schreiben des letzten Satzes schlecht! Ja, der Fall der Mauer, und die Wiedervereinigung sind beachtliche politische Meilensteine, doch im Endeffekt waren diese Ereignisse weniger ein Erfolg der Politik, als ein Zeichen ihres massiven Versagens auf beiden Seiten des Vorhangs. Die eigentlichen Helden der Wiedervereinigung sind diejenigen, die in den späten 1980ern, allen Einschüchterungsversuchen der Stasi zum trotz, auf die Straße gegangen sind, um gegen das immer stärkere Erstarren ihrer Heimat, und für ihre Recht zu demonstrieren. Der heute von PEGIDA und anderen “Ich-bin-ja-kein-Nazi,-aber”-Braunen vergewaltigte Slogan “Wir sind das Volk” spiegelte gerade im Jahr 1989 immer mehr die Gefühlslage der Demonstranten wieder. Und doch war dies damals genau so falsch wie heute. 
Es war nicht das ganze Volk, das auf den Straßen war. Zugegeben, die Montagsdemos wurden im Laufe der Zeit immer mehr zu Massenveranstaltungen, und das zurecht, aber im Endeffekt waren diese Demonstrationen immer auf Leipzig, sowie später auch auf Berlin beschränkt. Und selbst dort waren bei weitem nicht alle auf den Straßen. In der Provinz fiel der der Ruf nach Veränderung mangels Interesse sogar schlicht und einfach aus! Die überaus meisten hatten sich mit dem diktatorischen Regime in der DDR arrangiert, und sich teilweise sogar recht behaglich eingerichtet. Für viele war die Wiedervereinigung zwar eine schöne Vorstellung, aber ungefähr so wichtig, wie ein Leben nach dem Tod. So lange sie Westfernsehen bekamen, ab und an ein Paket von Verwandten aus der BRD war alles ganz in Ordnung.
Aus heutiger Sicht kann man froh sein, dass die Armee der Mitläufer in der DDR damals genau so erstarrt war, wie ihre politische Führung. Kaum auszudenken, was passiert wäre, wenn diese Massen sich ihrerseits erhoben hätten, um ihre Futtertröge gegen diese vorwitzigen und aufmüpfigen Störenfriede zu verteidigen. Das hätte Honecker und seinen Schergen den Vorwand gegeben, um die Montagsdemos eiskalt niederschießen zu lassen, und wer weiß, wohin das geführt hätte. Insofern können wir über das Versagen der Politik im Osten verdammt froh sein.
Aber auch der Westen hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Eigentlich sollten einem die Bilder aus der damaligen Zeit heute verdammt bekannt vorkommen. Politiker, die an verschiedenen Orten versuchen, hunderte oder tausende Flüchtlinge in halbwegs geregelte Bahnen zu lenken, ohne Gesamtkonzept, ohne Plan, und vor allem ohne Unterstützung eines Großteils der Bevölkerung. 
Ja, ihr habt das richtig gelesen. Die Bilder von begeisterten Menschen an den Bahnhöfen im Westen, als die Züge aus Prag eintrafen, sind mittlerweile unzählige Male rauf und runter gespielt worden, und die Begeisterung dort war auf keinen Fall gespielt. Allerdings befand sich die BRD damals auch selbst in einer nicht gerade rosigen Wirtschaftlichen Lage. Der Gedanke, auf einmal mit hunderten, tausenden oder sogar noch mehr Wirtschaftsflüchtlingen klarkommen zu müssen, war für viele alles andere als angenehm. Noch dazu, weil diese Wirtschaftsflüchtlinge aus einem Land kamen, das nicht nur absolut undemokratisch und diktatorisch war, sondern dass sich auch den Untergang des Westens auf die Fahnen geschrieben hatte. Denn genau das war die DDR, eine aggressiv auftretende, militaristische, und absolut undemokratische Diktatur. Und mit solchen Leuten sollte man auf einmal in einem Land leben? Das kann doch wohl nicht sein!
Kommt einem diese Argumentation irgendwie bekannt vor?
Dann kam der 9. November, und jene berühmte Pressekonferenz, in der Günter Schabowski weitreichende Reisefreiheiten für die Bürger der DDR ankündigte, allerdings aufgrund der Unfähigkeit der DDR-Regierung nicht informiert worden war, dass diese erst am nächsten Tag gültig werden sollten. Wiederum waren es die unerschrockenen Elemente der DDR-Bevölkerung, die diese neuen Freiheiten einforderten, und Gott sei Dank haben vor allem die Berliner Grenzer an jenem Abend besonnen gehandelt, und so die eigentliche Wiedervereinigung möglich gemacht.
Nun war allerdings wieder die bisher vor allem durch kopflosen Aktionismus aufgefallene Bundesregierung unter Helmut Kohl gefragt. Dieser versprach, vom Wiedervereinigungstaumel mitgerissen, den Bürgern der DDR jene blühenden Landschaften, die später zu einem bitteren Scherz werden würden. Die Anführer der Opposition im Osten waren da nicht viel besser, keine Seite war damals in der Lage, den Bürgern die Wahrheit zu sagen, wie hart die Wiedervereinigung werden würde. Kritische Stimmen wurden beiseite gewischt. 
Es wäre allerdings unfair, die Bundesregierung nur ins schlechte Licht zu rücken. Allerdings sind die Verdienste, die sich Helmut Kohl mit der Wiedervereinigung erworben hat, eher im außenpolitischen Bereich zu verorten. nicht nur in dem er der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow die Zustimmung für die Wiedervereinigung, und vor allem den Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen abtrotzte, sondern vor allem im Umgang mit Deutschlands Westlichen Partnern, den USA, Großbritannien und Frankreich.
Gerade letztere hatten eine geradezu krankhafte Ablehnung gegenüber einem vereinigten Deutschland, befürchteten die Regierungen Margaret Thatchers und François Mitterand doch, dass ein derartiges Deutschland zwangsläufig wieder militärisch in Europa aktiv werden würde. Gerade die Eiserne Lady zeichnete sich durch eine geradezu krankhafte Ablehnung jeder Art der Wiedervereinigung aus, während Mitterand zwar kaum weniger konsterniert war, aber den Standpunkt vertrat, das man durch aktive Mitarbeit mehr Einfluss haben würde, als durch Fundamentalopposition. Vielleicht sollte jemand mal David Cameron das entsprechende Memo zukommen lassen? Bundeskanzler Kohl muss man es bis heute sehr hoch anrichten, das er es schaffte, die Wiedervereinigung gegen diesen Widerstand umzusetzen, im Endeffekt nur mit der Unterstützung des sowjetischen Premiers Michail Gorbatschow, und Präsident George H. W. Bush, dessen Regierung, im Gegensatz zu Paris und London, der festen Überzeugung war, das sich Deutschland seit 1945 verändert hatte.
Und heute feiern wir nun das 25. Jubiläum dieses Feiertags. Deutschland hat sich seitdem deutlich verändert, aber leider nicht nur zum besseren. Die marode Verkehrsinfrastruktur im Osten wurde modernisiert, gleichzeitig aber auf ein Maß zurückgestuft, das dem Bedarf angepasst ist. Viele Industriebetriebe, die in der DDR tausende von Menschen beschäftigt hatten, waren jedoch derart veraltet, dass eine Sanierung, gerade auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlich angespannten Lage in Deutschland, nicht möglich war. Viele Städte und Landstriche sind dadurch geradezu implodiert, und entwickeln sich erst langsam wieder.
Der zigtausendfache Arbeitsplatzverlust, gekoppelt mit den falschen Versprechungen aus der Wendezeit, und der mangelnden Erfahrung mit Eigeninitiative und Demokratie, sowie einer übertriebenen Heimatverbundenheit hat wiederum dem immer mehr um sich greifenden Fremdenhass und Nationalismus in Deutschland mit den Boden bereitet. Diesem braunen Strom muss man sich geschlossen entgegen stellen, was natürlich schlecht geht, wenn vor allem die Unionsparteien gerne mal an dem Rand des politischen Spektrums fischen gehen. 

Insofern ist die Deutsche Einheit auch 25 Jahre danach noch nicht abgeschlossen. Sie ist und bleibt ein Jahrhundertprojekt. Und trotzdem kann man sie als Erfolg sehen. Als Erfolg derjenigen, die sich nicht mit dem Status Quo zufrieden geben, als Erfolg derer, die an mehr als nur ihr eigenes Wohl gedacht haben, und als Erfolg jener, die keinen überzüchteten Respekt vor Autoritäten oder Grenzen haben, oder sich etwas auf ihre Nationalität einbilden. IHR seid das Volk, und wir brauchen mehr von euch!

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