High Noon im Hafen? - Zivilschutz-Übung in Cork

Es gibt Sachen, die passen einfach nicht ins Bild. Ob das jetzt ein Schiff ist, das einem auf der Straße entgegen kommt, ein Pferd in der S-Bahn, oder ein stylish gekleiderter Affe bei IKEA. Derartige Anblicke haben alle eins gemeinsam, sie kommen praktisch aus dem nichts. So ging es mir eines schönen Samstag Morgens im September in Cork. Ich war nach 'nem schnellen Frühstück dabei, die Stadt zu erkunden. Auf Höhe der Patricks Bridge hörte ich auf einmal ein sonores Brummen.
Das Geräusch kam mir bekannt vor. Ich hatte sowas schon einmal gehört, 2009 an Bord der Color Magic auf dem Weg von Kiel nach Oslo. Es fiel mir wie Schuppen aus den Haaren. Irgenwo im Bereich der Innenstadt befand sich ein schwerer Hubschrauber im Schwebeflug. Nach einem Kurzen Sprint in Richtung Customs House sah ich auch schon, was los war. Über dem Hafenbecken schwebte einer der neuen Sikorsky S-92 der Irischen Coast Guard. Ich versuchte noch, ein schnelles Foto mit meinem Handy zu schießen. Über das Ergebnis dieses Versuchs breiten wir mal lieber den Mantel des diskreten Schweigens aus.
Der Hubschrauber trollte sich, aber ich konnte erkennen, das im Hafen noch einges los war. Also nix wie zurück in die Hostel, und die Kamera gegriffen. Die dürfte heute noch einiges zu tun bekommen. Das erste, was mir nach der Rückkehr auffiel waren zwei mir unbekannte Schiffe, die direkt am Customs House Quay lagen. Nach einem kurzen Blick war allerdings klar das diese beiden, Schulschiffe der Leopard-Klasse der Französischen Marine, zwar mitten drin waren, aber nicht mit machten. Typisch Französisch halt.


Am Südufer des River Lee hingegen, am Kennedy Quay, sah die ganze Situation schon anders aus. Ein weiterer grauer Rumpf lag da, gedrungener, eleganter, und über die Toppen beflaggt. Ich wusste sofort, das es sich um eines der beiden Patrouillenboote der Peacock-Klasse handeln musste, die unter Irischer Flagge fahren. Am Kennedy Quay angekommen sah ich, das ich in eine große Leistungsschau des Irischen Zivilschutzes gestolpert war. Das Kriegsschiff, die L.E. Ciara (ausgesprochen Kiera) war logischerweise der Stargast, aber auch ansonten war alles dort vertreten. Feuerwehr und Ambulanzen, Coast Guard, und auch An Garda Siochana, kurz Garda genannt, die Irische Polizei waren da. Die Anwesenheit eines Sprengstoff-Räumkommandos des Irischen Heeres diente als Erinnerung, das die Troubles hier noch immer nicht so weit weg sind, wie man das aufgrund der abgeflauten Nachrichtenlage in Deutschland glauben könnte.


So was sieht man auch im Hafen von Cork nicht alle Tage.
Mein Hauptaugenmerk lag natürlich erst mal auf der Ciara. In meinem Artikel über den Hafen von Cork hatte ich ja schon das eine oder andere über dieses Schiff geschrieben. Ursprünglich wurde sie 1984 als HMS Swallow von der Royal Navy in Dienst gestellt, als 4. Schiff der Peacock-Klasse. Wie ihre Schwesterschiffe wurde auch sie dem 6. Patrouillenbootgeschwader zugeteilt, das zusammen mit dem 6. Minenräumgeschwader die letzte ständige britische Marinepräsenz "östlich von Suez" darstellte, den letzten Rest der einstmals berühmten China-Station der Royal Navy.


Man sieht der LE Ciara ihre Abstammung an. Das Deckshaus und die Brücke erinnern stark an die zur gleichen Zeit entworfenen Fregatten des Typs 23 der Royal Navy.
Bereits 1988 wurde HMS Swallow zusammen mit ihrem Schwesterschiff HMS Swift an die Republik Irland verkauft. Beide dienen heute unter den Namen Ciara und Orla bei der irischen Marine. Beide Schiffe waren schon an den für die irischen Seestreitkräfte so typischen Kampf gegen Drogenschmuggler teilgenommen. So war die Ciara 1999 an der Aufbringung der MV Posidonia beteiligt, dem bis dato, und meines Wissens bis zur Operation Seabight größten Schlag gegen den Drogenschmuggel. Sie genießt außerdem den Ruf, das schnellste Schiff der Flotte zu sein, was sich in ihrem Spitznamen Road Runner niederschlägt.


Meep meep... Hat irgend jemand zufällig einen Koyoten gesehen?
Reges Treiben am Kennedy Quay
Beeindruckend war auch die Auswahl an Küstenrettungsgeräten, die von der Coast Guard aufgefahren worden waren. Eine Besonderheit der Irischen Küstenwache ist, das sie zwar über momentan noch 6 Rettungshubschrauber, jedoch keinerlei Schiffe verfügt, ganz im Gegensatz zur deutschen Küstenwache. Ihr sind dafür über das ganze Land verteilt spezielle Küstenrettungsteams unterstellt, die mit ihrer Speziellen Ausstattung Menschen aus den teils tückischen Steilküsten des Landes retten, oder ihre Leichname bergen müssen. Für Einsätze auf Hoher See greift die Küstenwache je nach Bedarf auf die Rettungsboote der RNLI (Royal Naval Lifeboat Institution) oder die Schiffe der Irischen Marine zurück.

Als ich am Kennedy Quay ankam, ging im Hafen gerade eine Demonstration der Feuerlöschfähigkeiten der Feuerwehr und der Hafenschlepper zu Ende. Vielleicht liegt es an meinen Erfahrungen im Hamburger Hafen als Kind, aber ich betrachte die Schlepper immer als die verkannten Stars der Seefahrt. Ohne sie kommt der Verkehr in den meisten Häfen schnell zum erliegen. Und, wie der Hafenschlepper Gerry O'Sullivan eindrucksvoll demonstrierte, sind sie auch als Feuerlöschboote unentbehrlich.




Als nächstes stand eine Demonstration der IDF, der Irish Defence Force, an. Boarding Teams der L.E. Ciara sollten das Entern und Aufbringen eines verdächtigen Schiffes vorführen. Dies ist eine der Hauptaufgaben der irischen Marine, die zuerst im Kampf gegen den Waffenschmuggel der IRA und anderer "republikanischer Dissidenten" um einen Ausdruck aus denn lokalen Medien zu verwenden, in den letzten zwanzig Jahren aber hauptsächlich gegen den Drogenschmuggel einen enormen Erfahrungsschatz aufbauen konnte. 
Übungsannahme war, das sich an Bord des Anglerboots Naomh Cartha illegale Substanzen und mindestens eine verdächtige Person befinden, die sichergestellt bzw. festgenommen werden, und an Land an die Garda übergeben werden sollten. Die Verdächtige Person war dabei in der Tat mehr als verdächtig, handelte es sich doch um PJ Coogan, Nachrichtenchef bei Cork's 96 FM, dem größten lokalen Radiosender.


Die VIPs verfolgen die Übung natürlich stilecht vom Achterdeck der LE Ciara aus. Außer Sicht werden die RHIBs mit dem Boarding Team vorbereitet.
Das Vorgehen des Boarding Teams würde einem normalen Boarding entsprechen, nur das man diesmal unbewaffnet vorgehen würde. Die Sturmgewehre vom Typ Steyr AUG und die Heckler&Koch USP-Pistolen blieben hierfür an Bord der Ciara. Den Verlauf des Boardings beschreibe ich unten genauer. Mitten während der Übung segelte übrigens eine Segelyacht in die durch den Hafen. Ich dachte offen gesagt zuerst, es wäre eine Deutsche Yacht, aufgrund der Selbstverständlichkeit, mit der sie mitten durch die Übung schipperte. Es stellte sich jedoch heraus, das es sich bei der Yacht um die unter irischer Flagge fahrende Breakaway, Heimathafen Cork.
Die Entermannschaft benutzte sogenannte RHIBs, oder Rigid Hull Inflatable Boats, Schlauchboote mit festem Rumpf, die sich bei derartigen Einsätzen, ebenso wie bei der Anlandung von Personal bestens bewährt haben.
Das Zielobjekt, die Naomh Carta, verlässt den Südarm des River Lee.
"Bei euch hängt da achtern was dran, das sieht aus wie 'ne Mine..." Letzte Abstimmungen (oder Abstimmungsschwierigkeiten?) beim Boarding Team
"Beeilt euch! Ich will zuhause sein, bevor East Enders anfängt!" Das Erste Boot des Boarding Teams legt richtig los.

Ich will noch ein paar Worte zum Vorgehen bei so einem Boarding verlieren. Das zwei Boote angreifen liegt nicht daran, das in den Booten zu wenig Platz ist. Beide Boote haben ganz bestimmte Aufgaben. Das Erste Boot hat ein Sicherungskommando an Bord. Dessen Aufgabe ist es, das Zielschiff zu sichern, Gefahren zu beseitigen, und etwaigen Wiederstand zu brechen, notfalls mit Waffengewalt. Erst wenn die Situation unter Kontrolle ist, geht das zweite Team an Bord, dessen Aufgabe es ist, das Schiff zu untersuchen, etwaige Verdächtige rechtskräftig festzunehmen, und das Schiff/Boot in den nächsten passenden Hafen zu bringen. Früher nannte man sowas glaub ich mal Prisenkommando.
Den Anblick möchte man nicht achteraus sehen
Kurz vor dem Zugriff
Der Moment der Wahrheit: Die Sicherungsmannschaft geht an Bord
Ich muss zugeben, das ich bei dem Schnellen Zugriff den optimalen Moment mit meiner Kamera leider verpasst habe. Gottlob wurde das ganze noch einmal wiederholt. Richtig gehört. Die Jungs mit den bewegten Bildern waren auch dabei. Eine Übung/Vorführung in dieser Größe weckt in einem Land wie Irland mit seinen knapp 6 Millionen Menschen durchaus Interesse. Ich kann allerdings nicht sagen, ob es sich bei den Kameraleuten um Personal des Staatlichen Senders RTE oder eines privaten bzw. Lokalsenders handelte. Sie hatten jedenfalls ein besonderes Auge auf den Starverdächtigen PJ Coogan, der vor Beginn der Übung auch interviewt wurde, was wiederum vom Moderator der ganzen Veranstaltung mit dem lakonischen Kommentar "Schön zu sehen, das zur Abwechslung mal PJ ausgequetscht wird" bedacht wurde.

Das Ziel ist gesichert, das Prisenkommando geht an Bord
Beide Kommandos sind an Bord, die Naomh Carta fährt, unter neuem Kommando, zum Pier am Customs House Quay
Die bereits angesprochene Segelyacht Breakaway. Ob man sich an Bord wohl fragt, wo zur Hölle man hier wohl hineingeraten ist?
Sieht nicht so aus. Man bereitet sich eher auf das anlegen vor.
Das Sicherungskommando ist wieder von Bord gegangen
Nahaufnahme der Naomh Carta. Die Verdächtigen Personen sind, gut gesichert, achtern untergebracht,
Am Customs House Quay wird die Naomh Carta schon sehnsüchtig erwartet... von der Garda.
Noch an Bord werden die Verdächtigen übernommen...
... um dann an Land erst mal fachgerecht verschnürt zu werden.
Während an Bord des Zielschiffs noch einer der Drogenhunde der Garda bei der Arbeit war, ging es am Customs House Quay auf einmal rund. PJ Coogan hatte sich aus dem Staub gemacht, und zwar schneller als ein Bundestagsabgeordnerter, den man nach seinen Nebeneinkünften fragt.
Dies war ebenfalls Teil der Übung. Die Garda nutzte die Möglichkeit, um die Fähigkeiten ihrer Bluthundestaffel vorzuführen. Diese Tierchen sehen zwar Angsteinflößend aus, haben aber nichts mehr mit den mörderischen Viechern zu tun, die im 19 Jahrhundert in der Karibik zum Einsatz kamen und speziell auf Menschenfleisch abgerichtet waren.
Den enorm guten Geruchssinn macht sich die Garda zunutze, um Verdächtige auch in unübersichtlichen Situationen ausfindig zu machen. Dies wurde besonders deutlich als PJ nach seinem kleinen Sprint über den Customs House Quay und die Albert Bridge mitten durch die Besuchermenge am Kennedy Quay rannte, um sich an Bord der L.E. Ciara zu verstecken. Keine Chance.
Tja, auch die 20mm-Lafette (links) und die SATCOM-Antenne haben nix geholfen.
Auf einmal brummte es wieder in der Luft. Der Heli der Küstenwache konnte es nicht sein, dessen zweite Vorführung war aufgrund eines echten Einsatzes verständlicherweise abgesagt worden. Nein, dieser Brummer war etwas größer.
Bogey, 12 O'Clock high!
Es war eine der beiden CN-235MP des Irischen Air Corps. Die Maschinen aus dem Hause CASA, einem Hersteller mit Sitz in Sevilla, sind die größten Flugzeuge im Dienste des Irischen Staates, und extra als Seeaufklärungsflugzeuge (auch Maritime Patrol Aircraft, kurz MPA) gekauft worden. Sie können jedoch auch als Transporter verwendet werden, was sie 2011 bei der Evakuierung irischer Staatsbürger aus Libyen unter Beweis gestellt haben.




Die Maschinen dieses Typs arbeiten normalerweise eng mit den Schiffen der Marine zusammen, sei es um Drogenschmuggler zu stoppen, Schiffbrüchige zu finden, oder die Urheber von Ölteppichen ausfindig zu machen. Die CN-235MP verfügen auch über jeweils sechs Montagepunkte für Torpedos oder Flugkörper vom Typ Excocet, wobei ich jedoch bezweifle, das diese auch von Irland gekauft wurden.

Der Maritime Teil der Vorführungen neigte sich damit dem Ende. Die Kollegen am Festland übernahmen. Es sollte zuerst eine Vorführung einer Unfallbergung stattfinden. Ich muss aber zugeben, das mich ein anders Fahrzeug viel mehr interessierte.

Ach, so schlimm ist das gar nicht. Nur ein paar Ausbesserungen, und der Wagen ist wie neu.
Es ist irgendwie bedrückend zu wissen, das die Jungs vom Bombenentschärfungstrupp die am meisten gefragten Mitglieder der Irischen Streitkräfte sind.
Das, was aussieht, wie der böse Zwillingsbruder von Curiosity ist eines der wichtigsten Werkzeuge der Irischen Bombenräumer.
Ich muss zugeben, das hier Schluss für mich war. So sehr mich eine Vorführung des Bombenräumkommandos auch interessiert hätte, nach insgesamt fünf hochinteressanten Stunden am Hafen haben mir meine Füße klar zu verstehen gegeben, das jetzt erst mal Schluss ist. Schmerzender Sohle machte ich mich zurück auf den Weg in die Hostel.

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