Ich kann es jetzt schon nicht mehr hören

Das 2. Jahrzehnt des 20. Jahrhundert war eine Schicksalsdekade für Irland. Der Dublin Lockout, der Generalstreik in Dublin 1913 war der erste in einer ganzen Reihe von Aufständen, die 1922 zur Unabhängigkeit des Landes führen würden. Der wichtigste dieser Aufstände war mit Sicherheit das Easter Rising, der Osteraufstand im Jahr 1916. Jeder, der in der Irischen Politik bis in die 1950er-Jahre etwas auf sich hielt, hatte eine Verbindung zu diesem Aufstand. Eamon de Valera, Michael Collins, James Connolly, alle waren sie dabei. Dabei wird geflissentlich ignoriert, das jene Kämpfer des Jahres 1916 ganz und gar nicht im Namen des Volkes handelten, wie sie behaupteten. Auch wird ignoriert, dass der Osteraufstand schlecht geplant, und überhastet gestartet wurde, ohne, dass die Aufständischen überhaupt die nötigen Truppen oder Waffen in Position hatten. Es war militärisch gesehen ein Debakel allererster Güteklasse. 
Dies tut der Götzenanbetung für die "Helden" des Aufstandes jedoch keinen Abbruch. Bis in die heutige Zeit gilt dieser Aufstand als Geburtsstunde des modernen Irlands. Jedes Jahr gedenkt die politische Elite des Landes der Gefallenen dieses Aufstands, wird die Osterproklamation von einem Soldaten der Irish Defence Forces vor dem GPO in Dublin verlesen. Die Geschichte des Aufstands ist mehrfach verfilmt worden, und wird auch in Liedern wie Foggy Dew weitererzählt. Und natürlich wird auch das hundertjährige Jubiläum des Osteraufstands im Jahr 2016 besonders gefeiert werden.
Mir wird jetzt schon schlecht, wenn ich daran denke. Nicht, dass ich Irland seinen Nationalfeiertag nicht gönne, es ist aber absolut offensichtlich, dass man den Osteraufstand und seine Helden vor allem deswegen auf ein Podest hievt, um sich nicht mit dem auseinandersetzen zu müssen, was in der Proklamation eigentlich festgehalten wurde: Gleichberechtigung für alle, Religionsfreiheit, und Bürgerrechte für alle. Schöne Worte, aber teilweise bis in unsere Tage einfach nur eine Fiktion.
Man muss sich nur einmal die Geschichte des unabhängigen Irlands anschauen. Auch wenn die Verfassung Irlands viele der der Konzepte aus der Osterproklamation übernommen hat, so wurden diese über Jahrzehnte hinweg nicht gelebt. Der Zugang zu den Gerichten war Frauen über lange Zeit hinweg verwehrt, und Anhänger anderer Konfessionen als der Römisch-katholischen Kirche waren de facto Bürger 2. Klasse. Die Kirche war auch über Jahrzehnte hinweg das eigentliche politische Machtzentrum des Landes, keine Regierungspartei wagte es, sich mit den Bischöfen anzulegen. Was dies für unverheiratete Frauen, uneheliche Kinder und andere im katholischen Sittenbild "unerwünschte" Menschen bedeutet, muss ich glaube ich nicht näher herausführen. Die Magdalen Laundries, "Kinderheime" wie Letterfrack oder Bessboro, und nicht zuletzt die grauenhafte Entdeckung eines Massengrabes mit 800 nicht identifizierten Leichen von Babies und Kleinkindern in Tuam, County Galway, sprechen eine deutliche Sprache. Dies ist nicht das Irland, für das Menschen wie Michael Collins oder James Connolly gestorben sind, und trotzdem blickt ein Großteil der Iren mit einem wehmütigen Lächeln auf diese Zeit zurück.
Warum ich gerade jetzt darüber schreibe? Nun, Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jubiläum des Osteraufstandes laufen auf vollen Touren, und in einem Parlament, bei dem die Parteien sich vor allem dadurch unterscheiden, auf welcher Seite sie am Bürgerkrieg 1922-1923 gekämpft haben, nicht anders zu erwarten, ist dies bereits in eine hässliche Schlammschlacht ausgeartet. Die Regierungsparteien Fine Gael und Labour machen ihr Ding, Fianna Fail, die größte Oppositionspartei des Landes, versucht dies zu blockieren, und ihre eigenen Veranstaltungen zu puschen, und Sinn Fein überlegen, wem sie in der Sache zuerst eine Autobombe unterjubeln sollen. Wiederum legen sich alle Parteien den Osteraufstand so zurecht, dass sie ihre eigene Linie bestätigt fühlen, und sich ja nicht mit den Inhalten der Osterproklamation auseinandersetzen müssen. Das würde nämlich bedeuten, seit den 1920er Jahren existierende ideologische Gräben zu überspringen, und sich mit den tatsächlichen Problemen des Landes und seiner Geschichte auseinanderzusetzen. 
Es gibt in der Sache nämlich noch einiges zu tun. Die römisch-katholische Kirche ist immer noch extrem eng mit dem Irischen Staat verwoben, gerade im Bildungswesen, auch wenn sich da seit den 1980ern einiges geändert hat. Allein schon die Präambel der Irischen Verfassung liest sich wie der Auftakt zu einem Gebet. Und dann wäre da auch noch der Punkt mit Artikel 8 der Irischen Verfassung, des "Schutzes des ungeborenen Lebens". Dies ist vielleicht im Einklang mit der katholischen Glaubenslehre, sorgt aber dafür, dass die in der Osterproklamation geforderte und versprochene Gleichberechtigung nicht einmal auf dem Papier existiert. Wie soll Gleichberechtigung denn funktionieren, wenn Frauen nicht einmal über ihren eigenen Körper bestimmen dürfen? Ich bin auch nicht unbedingt ein Fan von Abtreibungen, man sollte den Frauen aber auf jeden Fall die Möglichkeit dazu geben, wenn man schon für Gleichberechtigung eintritt.
All dies wird vom Irischen Staat jedoch geflissentlich ignoriert. Stattdessen inszeniert man, wie letztes Wochenende in Cork geschehen, ein pompöses Staatsbegräbnis für Thomas Kent, einen jener "Märtyrer" des Osteraufstandes, der nach der Niederschlagung von den Briten hingerichtet wurde, und dessen Gebeine über Jahrzehnte hinweg verschollen waren. Ich liebe Irland, und kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Die Beschönigung des Osteraufstandes, und die Verklärung der religiös fundamentalistischen Geschichte Irlands ist jedoch angesichts der Vergangenheit dieses Landes verlogen und feige.

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