In Memoriam Ulrich Milde - 1948 - 2017
Und wieder schaue ich auf einen leeren Bildschirm, und versuche verzweifelt, dass unaussprechliche in Worte zu fassen. Es ist jetzt eine Woche her, dass meine regulären Anrufe in Speyer nicht mehr beantwortet wurden. Eine Woche, in der meine Welt in sich zusammen gebrochen ist. Ich wache nach wie vor jeden Morgen auf, und hoffe darauf, dass es ein Albtraum ist, aber leider ist es auch diesmal wieder bittere Realität. Mein Vater ist nicht mehr da. Ulrich Milde ist am 8. November 2017 unerwartet verstorben. Er ist am späten Nachmittag beim Musik hören friedlich eingeschlafen, zu einem Zeitpunkt, als er zum ersten Mal seit dem Tod seiner großen Liebe, meiner Mutter, wieder zufrieden, und sogar glücklich war.
Humor war bei uns beiden immer schon sehr "ungewöhnlich" |
Wenn ich so auf die letzten drei Jahrzehnte zurückblicke, dann wird mir immer mehr klar, wie stark mein Vater mich beeinflusst hat. Schön und gut, die Arbeitsdisziplin, und den eisernen Willen, immer weiter zu machen, das hatte ich bei meiner Mutter abgeschaut, aber es war mein Vater, der immer beschäftigte Bastler, der bekennende Science-Fiction Fan, der meinem Geist die nötigen Flügel verlieh, und meine Kreativität beflügelte. Er war es auch, dem ich mein immer größer werdendes Interesse an IT zu verdanken habe, und dies nicht erst seit dem Beginn der "Internetrevolution". Oh nein, die Wurzeln dieses "Übels" liegen viel tiefer, und reichen bis zurück nach Norddeutschland in den 1970er Jahren.
Dabei deutete zu Anfang nichts darauf hin, dass mein Vater in irgendeiner Form einmal mit einer derart neuen Technologie zu tun haben würde. Ganz im Gegenteil, als Ulrich Kurt Milde am 3.11.1948 im Hamburger Stadtteil Bergedorf (darauf legte er immer besonderen Wert) geboren wurde, lag Hamburg noch zu großen Teilen in Trümmern, und der Kalte Krieg warf seine ersten schweren Schatten in Form der Berlin-Blockade über Europa. Es war in dieser unruhigen Zeit, als mein Vater das Licht der Welt erblickte. Über diese frühen Jahre ist mir nicht allzu viel bekannt, es deutete aber, abgesehen von einer auch damals schon ausgeprägten Reisetätigkeit zusammen mit seinen Eltern, noch nichts darauf hin, dass es irgend etwas besonderes in seinem Leben geben würde. Die Schulnoten waren nicht allzu berauschend, womit er sich perfekt in die jüngere Familientradition einreihte, und auch die Lehre zum Feinblechner war, nach alldem was ich weiß, nicht wirklich etwas besonderes.
Anders war da schon seine Zeit bei der Bundeswehr, was allein schon bezeichnend war, da mein Vater in seinen Teenager-Jahren eher links eingestellt war, inklusive einem gewissen kleinen roten Buch. Seine Mao-Bibel habe ich immer noch. Vielleicht war es diese subversive Grundhaltung, die dafür gesorgt hat, das er nach der Grundausbildung bei den Sanitätern landete. Es war ausgerechnet diese Zeit, die immer wieder für eine Überraschung, und eine gute Geschichte gut war. Von einem Ausbilder, der so strunzdumm war, sich mit dem Bein fast genau vor die MG-Mündung meines Vaters zu stellen, über alte Wehrmachtsärzte, die so viel Erfahrung hatten, dass Sie sich ein Röntgengerät schon fast sparen konnten, bis hin zu wilden Parties im Sanitätsrevier, inklusive einiger Anfang der 1970er beliebter "Gewächse" war alles dabei. Am bezeichnendsten war jedoch die Teilnahme an einem Sommermanöver der Bundeswehr. Mein Vater hatte als einer der wenigen in seiner Einheit bereits einen Führerschein, als er zum Bund kam. Daher war er als Krankenwagenfahrer unabkömmlich, und wurde dazu abkommandiert, am Sanitätsposten zu bleiben, während der Rest seiner Einheit in voller Montur durch's Gelände gejagt wurde. Ach ja, hatte ich erwähnt, dass es mitten im Sommer war, mit durchgehenden Sonnenschein und Temperaturen um die 30 Grad? Ich glaub er war der einzige der gut gebräunt und komplett relaxt vom Manöver wieder in die Kaserne marschiert ist.
Direkt im Anschluss an seine Zeit beim Bund begann die jahrzehntelange Affäre meines Vaters mit der Computertechnik. Es mag aufgrund seiner Ausbildung und seiner Bundeswehrzeit etwas verwunderlich erscheinen, aber mein Vater schaffte es, einen Job bei der Iduna-Versicherung zu landen, und zwar als Operator auf deren IBM-Lochkartenmaschinen. Schnell stellte sich heraus, dass er ein Naturtalent in diesem Job war. Er entwickelte eine Reihe neuer Arbeitsverfahren und Techniken, die für Zeitersparnisse von bis zu 75% bei bestimmten Arbeitsgängen sorgten. Innerhalb kurzer Zeit war er zu einem absoluten Experten in seiner Abteilung geworden, und verdiente, gerade einmal Anfang zwanzig, 2400 Mark netto, was Anfang der 70er eine ansehnliche Stange Geld war. Und wie es auch heute noch üblich ist für junge Männer mit zu viel Geld investierte er dies in sein Auto, genauer gesagt in seinen heiß geliebten VW Käfer, der bald eine bessere Stereoanlage eingebaut hatte, als manche Mittelklasse-Haushalte.
Dann kam das Schicksalsjahr 1974. Bei einem Besuch in seiner Stammkneipe in Hamburg Bergedorf irgendwann im Februar traf er auf eine junge Österreicherin. Es war schon nach der Sperrstunde, die Türen waren geschlossen, und man durfte sich quasi selbst bedienen. Zu behaupten, dass es zwischen den beiden gefunkt hätte wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Für beide war bereits zu diesem Zeitpunkt klar, dass sie den richtigen gefunden hatten. Allerdings gab es gerade auf Seiten meines Vaters noch gehörige Unschlüssigkeit, ob er jetzt etwas mit dieser Österreicherin anfangen sollte, oder doch mit einer anderen Frau. Er erzählte mir später, dass er wirklich gebetet und um ein Zeichen gefleht hatte, für wen er sich denn jetzt entscheiden sollte. Kurze Zeit später klingelte es an der Tür der Wohnung seiner Eltern, wo mein Vater damals noch wohnte, und eben jene Österreicherin stand vor der Tür. Ihre Mutter hatte sie vor die Tür gesetzt. Nach einigen Diskussionen verbrachte sie die nächsten 6 Wochen auf einem Sofa in der Wohnung meiner Großeltern in Bergedorf, bevor sie nach ihrem 18 Geburtstag mit meinem Vater zusammenzog. Diese Beziehung sollte über 40 Jahre halten, und wer es bis jetzt noch immer nicht gerafft hat, bei jener jungen Österreicherin handelte es sich um meine Mutter.
Die ersten Jahre verliefen wie fast immer bei jungen Paaren. Es wurde viel gefeiert, viel gereist, und es gab immer mal wieder Stress mit den Nachbarn. Der "Lautsprecherkrieg" ist mir dabei bis heute in Erinnerung geblieben. Meine Eltern hatten unter Ihrer Wohnung in Ochsenwerder (glaube ich) einen Nachbarn, der zu den unmöglichsten Zeiten Musik aufdrehte, bei denen meinen Eltern das essen vom Vortag wieder hochkam. Wir reden hier von Katharina Valente, ähnlichen "Qualitätsprodukten" der 1950er, und so weiter. Irgendwann reichte es den beiden. Mein Vater war schon damals audiophil veranlagt, und hatte eine recht gute Stereoanlage im Wohnzimmer eingebaut. Soweit ich die Geschichten gehört habe, haben sich meine Eltern kurz angeschaut, die Lautsprecherboxen mit der Membran nach unten auf den Fußboden gelegt, und dann die Stereoanlage aufgedreht. Jethro Tull. Locomotive Breath. Die Lautstärkeregler so weit am Anschlag wie es möglich war, ohne die Membran zu opfern. Sylvester-Notleistung, wie diese Einstellung bei meinen Eltern genannt wurde. Es kam nie wieder laute Musik von unten. Ich selbst habe mir diese Taktik übrigens bei meinen Eltern abgeschaut, nur würde ich, sofern man nicht an Metal etc. interessiert ist, zu Tschaikowski's 1812-Overtüre raten, bevorzugt einer Aufnahme mit echten Artilleriegeschützen. Bei den aktuellen basslastigen Lautsprechern ist der Effekt beeindruckend.
Am 9.9.1977 wurde der Wahnsinn dann auf ein permanentes Fundament gestellt. In einer kleinen Zeremonie auf dem Standesamt Hamburg-Bergedorf gaben sich meine Eltern das Ja-Wort. Sogar meine Großmutter mütterlicherseits, die der Beziehung der beiden anfangs absolut feindselig gegenüberstand, hatte sich mittlerweile überzeugen lassen. Das Glück schien perfekt, erst recht, als meine Mutter es nach ihrem Abgang von der Fremdsprachenschule schaffte, einen Job bei einer unbekannten chinesischen Provinzbank namens Hong Kong and Shanghai Banking Corporation (Heute als HSBC bekannt) zu ergattern.
Im August 1981 kam dann die große Veränderung, als ein kleines schreiendes Bündel auf den Plan trat. Klein mag ich zwar jetzt nicht mehr sein, aber das mit dem Schreien kriege ich auch heute noch hin ;) Meine Eltern hatten sich bereits kurz nach dem Einzug in die erste gemeinsame Wohnung darauf geeinigt, dass derjenige, der die besseren Berufschancen hatte, seine Berufslaufbahn auch weiterhin fortsetzen würde, während der andere Partner sich um den Haushalt und etwaige Kinder kümmern würde. Da meine Mutter angefangen hatte, bei HSBC die Karriereleiter nach oben zu steigen, bedeutete dies für meinen Vater, dass er seinen Job bei der Iduna aufgeben, und zum Hausmann werden würde. Da er aufgrund seines Rufs als Spezialist im Bereich der Lochkartenmaschinen nie die Umschulung für die klassischen IBM-Mainframes absolviert hatte, war der Ausstieg nicht so dramatisch wie man vielleicht denken würde.
Ein Jahr später kam schon der nächste große Schritt. Mein Vater war seit seiner Kindheit begeisterter Segler, und auch meine Mutter war, trotz ihrer Österreichischen Abstammung, vom Meer sehr angetan, und die beiden hatten in den Jahren vor meiner Geburt einiges an Geld zur Seite gelegt, um sich von dem Geld eine Segelyacht zu kaufen. Jetzt, im Jahr 1982, begann die Yacht auf einmal zu mutieren, und verwandelte sich in ein kleines Haus in einem Dorf knapp eine Stunde vor den Toren Hamburgs. Diese "Villa Wahnsinn", wie sie im Familienjargon bald genannt wurde, war für fast zwölf Jahre unser Zuhause. Mein Vater machte in dieser Zeit seine Umschulung zum Informationselektroniker, und fing danach wieder an zu arbeiten, in der Qualitätssicherung beim Modemhersteller Dr. Neuhaus, der heute noch aktiv ist. Als aus den 1980ern die 1990er wurden, wechselte mein Vater zuerst zu NRI, wieder als Qualitätstester, bevor er dann bei einem nach wie vor aktiven Systemhaus als Servicetechniker anfing. Seine IT-Begeisterung erfasste auch unser Zuhause, und auch wenn ich weiß Gott nicht von Computern erzogen wurde, so waren Firmen wie Microsoft, Apple, Novell (Erinnert sich noch jemand an die?), oder IBM mir mit 10 Jahren genau so vertraut wie die damals aktuellen Zeichentrickserien.
Dann kam das Jahr 1994, das Jahr, in dem aus dem oberflächlich normalen Leben ein außergewöhnliches wurde. Es war das Jahr, in dem wir nach Prag zogen, wo mein Vater dann auch gleich einen Job als Software-Entwickler bekam. Dies war auch die Zeit, in der er versuchte, mir das Programmieren zu ermöglichen. Dies lief jedoch nicht wirklich so, wie er geplant hatte, ich war ziemlich programmierresistent. Abgesehen davon hatte ich ihm zu dem Zeitpunkt immer noch nicht ganz verziehen, dass er sich zusammen mit meiner Mutter dazu verschworen hatte, mich auf die englischsprachige Internationale Schule in Prag zu stecken. Abgesehen davon aber war die Zeit in Prag einfach magisch. Zu diesem Zeitpunkt begannen mein Vater und ich auch, die Tschechische Republik und die Nachbarländer zu erkunden, sein Reisefieber war nach wie vor akut. Von Liberec bis zum Šumava-Nationalpark, und über die Landesgrenzen hinaus bis nach Kroatien führten uns unsere Touren, und natürlich auch immer wieder nach Österreich, wo damals noch die Familie meiner Mutter lebte. So magisch diese Zeit auch war, sie war leider auch ziemlich konfliktgeladen, da mein Vater und ich beide ziemliche Dickköpfe waren, und bei mir noch die Teenagerjahre dazukamen.
Ich bin mir daher sicher, dass meine Eltern erleichtert aufatmeten, als ich 1997 ins Internat in Bad Aussee in Österreich aufbrach. Während ich die Alpen unsicher machte, zog es meine Eltern zurück nach Deutschland, zuerst in die Nähe von Heidelberg, wo meine Mutter bei einem US-Softwarekonzern einen Job gelandet hatte. Mein Vater hatte sich mittlerweile auf seine Aufgaben als Hausmann konzentriert, nachdem er den mit der Einführung von Windows 95 auftretenden Veränderungen in der IT-Landschaft nicht mehr folgen konnte. Das soll nicht heißen, dass er der IT den Rücken kehrte, Sein Büro bei uns in der Wohnung sah immer aus wie eine Mischung aus Lesezimmer, Rechenzentrum, und Frankenstein's Labor. Er konzentrierte sich aber immer mehr auch darauf, meine Mutter nach Kräften zu unterstützen, wie sie es dreißig Jahre zuvor schon abgesprochen hatten. Dies bedeutete auch immer wieder Fahrten zum Frankfurter Flughafen, da meine Mutter mittlerweile regelmäßig im Flugzeug saß.
2001 kam dann die nächste Änderung. Es war der Anfang der Trema-Jahre, und brachte einen Umzug in das Rhein-Main-Gebiet mit sich. Ein Jahr später stieß auch ich wieder zur Familie, nach meiner Rückkehr aus Österreich. Die Jahre in Schöneck, knapp nordöstlich von Frankfurt gelegen, waren wiederum sehr interessant, nicht zuletzt, da mein Vater seine Liebe zur Elektronikbastelei wiedergefunden, und mit dem Case-Modding für PCs begonnen hatte. Über seine Entwürfe kann man manchmal streiten, jedoch nicht über seine Kreativität. Die Trema-Ära wurde zur zweiten Blütezeit meiner Eltern, die nicht nur in Reisen in die USA und nach Kanada mündete, sondern auch in der ersten und einzigen Schauspielrolle meines Vaters, als römischer Soldat in Jesus Christ Superstar. Es war Gott sei Dank weder eine Sprach-, noch eine Gesangsrolle, denn mein Vater hatte, dass muss man leider so sagen, eine Gesangsstimme, die stark an Chewbacca nach einer durchzechten Nacht erinnerte.
2008 war dann die Trema-Zeit vorbei, und das letzte Kapitel begann, die Zeit in Speyer. Mein Vater blühte während des Umzugs noch einmal so richtig auf, er schien es sogar richtig zu genießen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt eines seiner ältesten Hobbies, die Fotografie, wiederentdeckt, und dokumentierte so ziemlich alles was sich tat mit der Kamera. Ich selbst war im Rhein-Main-Gebiet geblieben, da ich dort nach wie vor bei der Deutsche Post beschäftigt war. Langweilig wurde den beiden trotzdem nie, begannen sie doch jetzt, die Welt noch einmal zu erkunden. Kanada, Dubai, Finnland, und immer wieder Irland waren ihre Reiseziele. Selbst die niederschmetternde Diagnose Krebs bei meiner Mutter vermochte die beiden zuerst nicht zu bremsen. Beide waren stolz wie Oskar, und verdammt neidisch, als ich 2012 meinen Job bei Apple in Cork an Land zog, und mein neues Leben auf der grünen Insel begann, auch wenn ich meinen Vater nie von den Vorzügen von Apple-Geräten überzeugen konnte. Kurze Zeit später wurde aber auch bei meinem Vater eine Krebserkrankung festgestellt, und er begann, wie vorher schon meine Mutter, sich einer Kavalkade von Bestrahlungen, Operationen, und Chemotherapie-Sitzungen zu unterziehen. Trotz seines teilweise schon arg angegriffenen Gesundheitszustandes schafften es meine Eltern noch, je zwei Mal nach Irland und Kanada zu fliegen.
2017 kam dann das Ende. Der Tod seiner großen Liebe, meiner Mutter, im Juni 2017 setzte ihm extrem zu, wobei auch die zeitgleich mitlaufende Krebstherapie bei ihm keine Hilfe war. Es ist aus meiner Sicht bis heute ein Wunder, dass er die Zeit zwischen dem Tod und der Beisetzung meiner Mutter überhaupt überstanden hat. Gerade in den letzten Wochen hatte er aber immer mehr an Zuversicht gewonnen, sein Lebenswille war zurückgekehrt. Er hatte es sich bis zuletzt nicht nehmen lassen, mich immer am Flughafen abzuholen, wenn ich nach Deutschland kam. Wir waren sogar dabei, seinen Besuch in meiner neuen Wohnung hier in Irland über Weihnachten zu planen. Unser letztes Telefongespräch, weniger als 24 Stunden vor seinem Tod, drehte sich um genau dieses Thema. Dies ist jetzt leider alles Schall und Rauch.
Und erneut frage ich mich: Was bleibt am Ende eines Lebens? Dies ist in erster Linie Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass ich so eine außergewöhnliche Person meinen Vater nennen durfte. Er war nicht unbedingt immer praktisch veranlagt, weshalb es zwischen ihm und meiner Mutter immer mal wieder heftig knallte, dafür war er immer der "Visionär" in meiner Familie, derjenige, der die unmöglichsten und irrsinnigsten Sachen ausdenken konnte. Dankbarkeit auch dafür, dass er es irgendwie geschafft hat, sein Talent für's Schreiben auf mich zu übertragen. Meine drei Blogs hätten ohne dieses Talent nie das Licht der Welt erblickt. Und nicht zuletzt bin ich auch dankbar dafür, dass ich in einem Haushalt aufgewachsen bin, in dem Humor und auch ausgeprägter Schwachsinn immer einen Platz hatten. Wir waren eigentlich nie "normal", was ich bis heute als Auszeichnung betrachte.
Was auch bleibt ist ein Gefühl der Ruhe, so komisch das auch klingen mag. Meine Eltern waren ein Herz und eine Seele, sie waren unzertrennlich, und der Funke sprang bis zuletzt noch über. Ich weiß zwar nicht was jenseits jener letzten Grenze liegt, die meine Eltern jetzt überschritten haben, ich weiß aber auf jeden Fall, dass die beiden wieder vereint sind, nicht leiden, und in ihren letzten Stunden nicht gelitten haben. Allein so etwas zu wissen ist in dieser schweren Zeit eine enorme Beruhigung.
Was aber vor allem bleibt, ist eine enorme Leere. Es fehlt auf einmal etwas, auf dass ich mich mein gesamtes Leben lang verlassen konnte. Praktisch jeden Tag ertappe ich mich dabei, wie ich etwas mit meinem Vater absprechen möchte, etwas, was uns beide zum lachen bringen würde, oder einen Erfolg, den er mit Sicherheit gerne mitbekommen hätte. Ich bin mir sicher, dass ich den Weg, der noch vor mir liegt, auch alleine zu Ende gehen werde können, und es gibt auch noch verdammt viel, was ich sehen, was ich erleben möchte. Leider ist der Weg auf einmal verdammt leer geworden.
Dabei deutete zu Anfang nichts darauf hin, dass mein Vater in irgendeiner Form einmal mit einer derart neuen Technologie zu tun haben würde. Ganz im Gegenteil, als Ulrich Kurt Milde am 3.11.1948 im Hamburger Stadtteil Bergedorf (darauf legte er immer besonderen Wert) geboren wurde, lag Hamburg noch zu großen Teilen in Trümmern, und der Kalte Krieg warf seine ersten schweren Schatten in Form der Berlin-Blockade über Europa. Es war in dieser unruhigen Zeit, als mein Vater das Licht der Welt erblickte. Über diese frühen Jahre ist mir nicht allzu viel bekannt, es deutete aber, abgesehen von einer auch damals schon ausgeprägten Reisetätigkeit zusammen mit seinen Eltern, noch nichts darauf hin, dass es irgend etwas besonderes in seinem Leben geben würde. Die Schulnoten waren nicht allzu berauschend, womit er sich perfekt in die jüngere Familientradition einreihte, und auch die Lehre zum Feinblechner war, nach alldem was ich weiß, nicht wirklich etwas besonderes.
Anders war da schon seine Zeit bei der Bundeswehr, was allein schon bezeichnend war, da mein Vater in seinen Teenager-Jahren eher links eingestellt war, inklusive einem gewissen kleinen roten Buch. Seine Mao-Bibel habe ich immer noch. Vielleicht war es diese subversive Grundhaltung, die dafür gesorgt hat, das er nach der Grundausbildung bei den Sanitätern landete. Es war ausgerechnet diese Zeit, die immer wieder für eine Überraschung, und eine gute Geschichte gut war. Von einem Ausbilder, der so strunzdumm war, sich mit dem Bein fast genau vor die MG-Mündung meines Vaters zu stellen, über alte Wehrmachtsärzte, die so viel Erfahrung hatten, dass Sie sich ein Röntgengerät schon fast sparen konnten, bis hin zu wilden Parties im Sanitätsrevier, inklusive einiger Anfang der 1970er beliebter "Gewächse" war alles dabei. Am bezeichnendsten war jedoch die Teilnahme an einem Sommermanöver der Bundeswehr. Mein Vater hatte als einer der wenigen in seiner Einheit bereits einen Führerschein, als er zum Bund kam. Daher war er als Krankenwagenfahrer unabkömmlich, und wurde dazu abkommandiert, am Sanitätsposten zu bleiben, während der Rest seiner Einheit in voller Montur durch's Gelände gejagt wurde. Ach ja, hatte ich erwähnt, dass es mitten im Sommer war, mit durchgehenden Sonnenschein und Temperaturen um die 30 Grad? Ich glaub er war der einzige der gut gebräunt und komplett relaxt vom Manöver wieder in die Kaserne marschiert ist.
Direkt im Anschluss an seine Zeit beim Bund begann die jahrzehntelange Affäre meines Vaters mit der Computertechnik. Es mag aufgrund seiner Ausbildung und seiner Bundeswehrzeit etwas verwunderlich erscheinen, aber mein Vater schaffte es, einen Job bei der Iduna-Versicherung zu landen, und zwar als Operator auf deren IBM-Lochkartenmaschinen. Schnell stellte sich heraus, dass er ein Naturtalent in diesem Job war. Er entwickelte eine Reihe neuer Arbeitsverfahren und Techniken, die für Zeitersparnisse von bis zu 75% bei bestimmten Arbeitsgängen sorgten. Innerhalb kurzer Zeit war er zu einem absoluten Experten in seiner Abteilung geworden, und verdiente, gerade einmal Anfang zwanzig, 2400 Mark netto, was Anfang der 70er eine ansehnliche Stange Geld war. Und wie es auch heute noch üblich ist für junge Männer mit zu viel Geld investierte er dies in sein Auto, genauer gesagt in seinen heiß geliebten VW Käfer, der bald eine bessere Stereoanlage eingebaut hatte, als manche Mittelklasse-Haushalte.
Dann kam das Schicksalsjahr 1974. Bei einem Besuch in seiner Stammkneipe in Hamburg Bergedorf irgendwann im Februar traf er auf eine junge Österreicherin. Es war schon nach der Sperrstunde, die Türen waren geschlossen, und man durfte sich quasi selbst bedienen. Zu behaupten, dass es zwischen den beiden gefunkt hätte wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Für beide war bereits zu diesem Zeitpunkt klar, dass sie den richtigen gefunden hatten. Allerdings gab es gerade auf Seiten meines Vaters noch gehörige Unschlüssigkeit, ob er jetzt etwas mit dieser Österreicherin anfangen sollte, oder doch mit einer anderen Frau. Er erzählte mir später, dass er wirklich gebetet und um ein Zeichen gefleht hatte, für wen er sich denn jetzt entscheiden sollte. Kurze Zeit später klingelte es an der Tür der Wohnung seiner Eltern, wo mein Vater damals noch wohnte, und eben jene Österreicherin stand vor der Tür. Ihre Mutter hatte sie vor die Tür gesetzt. Nach einigen Diskussionen verbrachte sie die nächsten 6 Wochen auf einem Sofa in der Wohnung meiner Großeltern in Bergedorf, bevor sie nach ihrem 18 Geburtstag mit meinem Vater zusammenzog. Diese Beziehung sollte über 40 Jahre halten, und wer es bis jetzt noch immer nicht gerafft hat, bei jener jungen Österreicherin handelte es sich um meine Mutter.
Die ersten Jahre verliefen wie fast immer bei jungen Paaren. Es wurde viel gefeiert, viel gereist, und es gab immer mal wieder Stress mit den Nachbarn. Der "Lautsprecherkrieg" ist mir dabei bis heute in Erinnerung geblieben. Meine Eltern hatten unter Ihrer Wohnung in Ochsenwerder (glaube ich) einen Nachbarn, der zu den unmöglichsten Zeiten Musik aufdrehte, bei denen meinen Eltern das essen vom Vortag wieder hochkam. Wir reden hier von Katharina Valente, ähnlichen "Qualitätsprodukten" der 1950er, und so weiter. Irgendwann reichte es den beiden. Mein Vater war schon damals audiophil veranlagt, und hatte eine recht gute Stereoanlage im Wohnzimmer eingebaut. Soweit ich die Geschichten gehört habe, haben sich meine Eltern kurz angeschaut, die Lautsprecherboxen mit der Membran nach unten auf den Fußboden gelegt, und dann die Stereoanlage aufgedreht. Jethro Tull. Locomotive Breath. Die Lautstärkeregler so weit am Anschlag wie es möglich war, ohne die Membran zu opfern. Sylvester-Notleistung, wie diese Einstellung bei meinen Eltern genannt wurde. Es kam nie wieder laute Musik von unten. Ich selbst habe mir diese Taktik übrigens bei meinen Eltern abgeschaut, nur würde ich, sofern man nicht an Metal etc. interessiert ist, zu Tschaikowski's 1812-Overtüre raten, bevorzugt einer Aufnahme mit echten Artilleriegeschützen. Bei den aktuellen basslastigen Lautsprechern ist der Effekt beeindruckend.
Am 9.9.1977 wurde der Wahnsinn dann auf ein permanentes Fundament gestellt. In einer kleinen Zeremonie auf dem Standesamt Hamburg-Bergedorf gaben sich meine Eltern das Ja-Wort. Sogar meine Großmutter mütterlicherseits, die der Beziehung der beiden anfangs absolut feindselig gegenüberstand, hatte sich mittlerweile überzeugen lassen. Das Glück schien perfekt, erst recht, als meine Mutter es nach ihrem Abgang von der Fremdsprachenschule schaffte, einen Job bei einer unbekannten chinesischen Provinzbank namens Hong Kong and Shanghai Banking Corporation (Heute als HSBC bekannt) zu ergattern.
Es ist verdammt schwer, über meinen Vater zu schreiben, ohne meine Mutter zu erwähnen. Die beiden gab es praktisch nur im Doppelpack. Quasi Double Trouble. |
Im August 1981 kam dann die große Veränderung, als ein kleines schreiendes Bündel auf den Plan trat. Klein mag ich zwar jetzt nicht mehr sein, aber das mit dem Schreien kriege ich auch heute noch hin ;) Meine Eltern hatten sich bereits kurz nach dem Einzug in die erste gemeinsame Wohnung darauf geeinigt, dass derjenige, der die besseren Berufschancen hatte, seine Berufslaufbahn auch weiterhin fortsetzen würde, während der andere Partner sich um den Haushalt und etwaige Kinder kümmern würde. Da meine Mutter angefangen hatte, bei HSBC die Karriereleiter nach oben zu steigen, bedeutete dies für meinen Vater, dass er seinen Job bei der Iduna aufgeben, und zum Hausmann werden würde. Da er aufgrund seines Rufs als Spezialist im Bereich der Lochkartenmaschinen nie die Umschulung für die klassischen IBM-Mainframes absolviert hatte, war der Ausstieg nicht so dramatisch wie man vielleicht denken würde.
Den Anfang nahm alles in den 1980ern in Hamburg. |
Ein Jahr später kam schon der nächste große Schritt. Mein Vater war seit seiner Kindheit begeisterter Segler, und auch meine Mutter war, trotz ihrer Österreichischen Abstammung, vom Meer sehr angetan, und die beiden hatten in den Jahren vor meiner Geburt einiges an Geld zur Seite gelegt, um sich von dem Geld eine Segelyacht zu kaufen. Jetzt, im Jahr 1982, begann die Yacht auf einmal zu mutieren, und verwandelte sich in ein kleines Haus in einem Dorf knapp eine Stunde vor den Toren Hamburgs. Diese "Villa Wahnsinn", wie sie im Familienjargon bald genannt wurde, war für fast zwölf Jahre unser Zuhause. Mein Vater machte in dieser Zeit seine Umschulung zum Informationselektroniker, und fing danach wieder an zu arbeiten, in der Qualitätssicherung beim Modemhersteller Dr. Neuhaus, der heute noch aktiv ist. Als aus den 1980ern die 1990er wurden, wechselte mein Vater zuerst zu NRI, wieder als Qualitätstester, bevor er dann bei einem nach wie vor aktiven Systemhaus als Servicetechniker anfing. Seine IT-Begeisterung erfasste auch unser Zuhause, und auch wenn ich weiß Gott nicht von Computern erzogen wurde, so waren Firmen wie Microsoft, Apple, Novell (Erinnert sich noch jemand an die?), oder IBM mir mit 10 Jahren genau so vertraut wie die damals aktuellen Zeichentrickserien.
Dann kam das Jahr 1994, das Jahr, in dem aus dem oberflächlich normalen Leben ein außergewöhnliches wurde. Es war das Jahr, in dem wir nach Prag zogen, wo mein Vater dann auch gleich einen Job als Software-Entwickler bekam. Dies war auch die Zeit, in der er versuchte, mir das Programmieren zu ermöglichen. Dies lief jedoch nicht wirklich so, wie er geplant hatte, ich war ziemlich programmierresistent. Abgesehen davon hatte ich ihm zu dem Zeitpunkt immer noch nicht ganz verziehen, dass er sich zusammen mit meiner Mutter dazu verschworen hatte, mich auf die englischsprachige Internationale Schule in Prag zu stecken. Abgesehen davon aber war die Zeit in Prag einfach magisch. Zu diesem Zeitpunkt begannen mein Vater und ich auch, die Tschechische Republik und die Nachbarländer zu erkunden, sein Reisefieber war nach wie vor akut. Von Liberec bis zum Šumava-Nationalpark, und über die Landesgrenzen hinaus bis nach Kroatien führten uns unsere Touren, und natürlich auch immer wieder nach Österreich, wo damals noch die Familie meiner Mutter lebte. So magisch diese Zeit auch war, sie war leider auch ziemlich konfliktgeladen, da mein Vater und ich beide ziemliche Dickköpfe waren, und bei mir noch die Teenagerjahre dazukamen.
Ich bin mir daher sicher, dass meine Eltern erleichtert aufatmeten, als ich 1997 ins Internat in Bad Aussee in Österreich aufbrach. Während ich die Alpen unsicher machte, zog es meine Eltern zurück nach Deutschland, zuerst in die Nähe von Heidelberg, wo meine Mutter bei einem US-Softwarekonzern einen Job gelandet hatte. Mein Vater hatte sich mittlerweile auf seine Aufgaben als Hausmann konzentriert, nachdem er den mit der Einführung von Windows 95 auftretenden Veränderungen in der IT-Landschaft nicht mehr folgen konnte. Das soll nicht heißen, dass er der IT den Rücken kehrte, Sein Büro bei uns in der Wohnung sah immer aus wie eine Mischung aus Lesezimmer, Rechenzentrum, und Frankenstein's Labor. Er konzentrierte sich aber immer mehr auch darauf, meine Mutter nach Kräften zu unterstützen, wie sie es dreißig Jahre zuvor schon abgesprochen hatten. Dies bedeutete auch immer wieder Fahrten zum Frankfurter Flughafen, da meine Mutter mittlerweile regelmäßig im Flugzeug saß.
2001 kam dann die nächste Änderung. Es war der Anfang der Trema-Jahre, und brachte einen Umzug in das Rhein-Main-Gebiet mit sich. Ein Jahr später stieß auch ich wieder zur Familie, nach meiner Rückkehr aus Österreich. Die Jahre in Schöneck, knapp nordöstlich von Frankfurt gelegen, waren wiederum sehr interessant, nicht zuletzt, da mein Vater seine Liebe zur Elektronikbastelei wiedergefunden, und mit dem Case-Modding für PCs begonnen hatte. Über seine Entwürfe kann man manchmal streiten, jedoch nicht über seine Kreativität. Die Trema-Ära wurde zur zweiten Blütezeit meiner Eltern, die nicht nur in Reisen in die USA und nach Kanada mündete, sondern auch in der ersten und einzigen Schauspielrolle meines Vaters, als römischer Soldat in Jesus Christ Superstar. Es war Gott sei Dank weder eine Sprach-, noch eine Gesangsrolle, denn mein Vater hatte, dass muss man leider so sagen, eine Gesangsstimme, die stark an Chewbacca nach einer durchzechten Nacht erinnerte.
Mein Vater ohne Kamera? Ein Ding der Unmöglichkeit! |
2008 war dann die Trema-Zeit vorbei, und das letzte Kapitel begann, die Zeit in Speyer. Mein Vater blühte während des Umzugs noch einmal so richtig auf, er schien es sogar richtig zu genießen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt eines seiner ältesten Hobbies, die Fotografie, wiederentdeckt, und dokumentierte so ziemlich alles was sich tat mit der Kamera. Ich selbst war im Rhein-Main-Gebiet geblieben, da ich dort nach wie vor bei der Deutsche Post beschäftigt war. Langweilig wurde den beiden trotzdem nie, begannen sie doch jetzt, die Welt noch einmal zu erkunden. Kanada, Dubai, Finnland, und immer wieder Irland waren ihre Reiseziele. Selbst die niederschmetternde Diagnose Krebs bei meiner Mutter vermochte die beiden zuerst nicht zu bremsen. Beide waren stolz wie Oskar, und verdammt neidisch, als ich 2012 meinen Job bei Apple in Cork an Land zog, und mein neues Leben auf der grünen Insel begann, auch wenn ich meinen Vater nie von den Vorzügen von Apple-Geräten überzeugen konnte. Kurze Zeit später wurde aber auch bei meinem Vater eine Krebserkrankung festgestellt, und er begann, wie vorher schon meine Mutter, sich einer Kavalkade von Bestrahlungen, Operationen, und Chemotherapie-Sitzungen zu unterziehen. Trotz seines teilweise schon arg angegriffenen Gesundheitszustandes schafften es meine Eltern noch, je zwei Mal nach Irland und Kanada zu fliegen.
Bis zum Schluss war mein Vater praktisch überall mit dabei. |
2017 kam dann das Ende. Der Tod seiner großen Liebe, meiner Mutter, im Juni 2017 setzte ihm extrem zu, wobei auch die zeitgleich mitlaufende Krebstherapie bei ihm keine Hilfe war. Es ist aus meiner Sicht bis heute ein Wunder, dass er die Zeit zwischen dem Tod und der Beisetzung meiner Mutter überhaupt überstanden hat. Gerade in den letzten Wochen hatte er aber immer mehr an Zuversicht gewonnen, sein Lebenswille war zurückgekehrt. Er hatte es sich bis zuletzt nicht nehmen lassen, mich immer am Flughafen abzuholen, wenn ich nach Deutschland kam. Wir waren sogar dabei, seinen Besuch in meiner neuen Wohnung hier in Irland über Weihnachten zu planen. Unser letztes Telefongespräch, weniger als 24 Stunden vor seinem Tod, drehte sich um genau dieses Thema. Dies ist jetzt leider alles Schall und Rauch.
Das ist das letzte Bild, das ich von ihm habe. Aufgenommen wurde es am 15. August 2017 am Frankfurter Flughafen, vor meinem Rückflug nach Irland. |
Und erneut frage ich mich: Was bleibt am Ende eines Lebens? Dies ist in erster Linie Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass ich so eine außergewöhnliche Person meinen Vater nennen durfte. Er war nicht unbedingt immer praktisch veranlagt, weshalb es zwischen ihm und meiner Mutter immer mal wieder heftig knallte, dafür war er immer der "Visionär" in meiner Familie, derjenige, der die unmöglichsten und irrsinnigsten Sachen ausdenken konnte. Dankbarkeit auch dafür, dass er es irgendwie geschafft hat, sein Talent für's Schreiben auf mich zu übertragen. Meine drei Blogs hätten ohne dieses Talent nie das Licht der Welt erblickt. Und nicht zuletzt bin ich auch dankbar dafür, dass ich in einem Haushalt aufgewachsen bin, in dem Humor und auch ausgeprägter Schwachsinn immer einen Platz hatten. Wir waren eigentlich nie "normal", was ich bis heute als Auszeichnung betrachte.
Was auch bleibt ist ein Gefühl der Ruhe, so komisch das auch klingen mag. Meine Eltern waren ein Herz und eine Seele, sie waren unzertrennlich, und der Funke sprang bis zuletzt noch über. Ich weiß zwar nicht was jenseits jener letzten Grenze liegt, die meine Eltern jetzt überschritten haben, ich weiß aber auf jeden Fall, dass die beiden wieder vereint sind, nicht leiden, und in ihren letzten Stunden nicht gelitten haben. Allein so etwas zu wissen ist in dieser schweren Zeit eine enorme Beruhigung.
Was aber vor allem bleibt, ist eine enorme Leere. Es fehlt auf einmal etwas, auf dass ich mich mein gesamtes Leben lang verlassen konnte. Praktisch jeden Tag ertappe ich mich dabei, wie ich etwas mit meinem Vater absprechen möchte, etwas, was uns beide zum lachen bringen würde, oder einen Erfolg, den er mit Sicherheit gerne mitbekommen hätte. Ich bin mir sicher, dass ich den Weg, der noch vor mir liegt, auch alleine zu Ende gehen werde können, und es gibt auch noch verdammt viel, was ich sehen, was ich erleben möchte. Leider ist der Weg auf einmal verdammt leer geworden.
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