Einzelhandel - Die selbstgemachte Krise

Alle paar Wochen taucht ein nur allzu bekanntes Klagelied auf meiner Facebook- Timeline auf. Irgendeiner meiner Facebook-Freunde teilt mal wieder einen Statusbeitrag eines arg gepeinigten Einzelhändlers, der die ach so erdrückende Dominanz von Onlinehändlern wie Amazon beklagt, und dazu auffordert, doch ja bei den armen, unterdrückten lokalen Einzelhändlern zu kaufen. Meist triefen diese Beiträge nur so vor scheinheiliger Kapitalismuskritik und dem in letzter Zeit ach so salonfähig gewordenen Antiamerikanismus. Ich persönlich kriege jedes Mal das Kotzen, wenn ich dieses Geheule sehe. 
Zugegeben, dem Einzelhandel geht es nicht gut, und dabei ist es egal, ob wir von Deutschland reden, von Irland. Oftmals alt eingesessene Geschäfte sind immer häufiger dazu gezwungen, dauerhaft zu schließen, und Innenstädte fangen immer häufiger an, einander zu ähneln, wenn sich denn überhaupt Geschäfte dort finden, und die Hauptstraße nicht von Spielotheken, zwielichtigen Bars, oder hier in Irland von den allgegenwärtigen Wettbüros übernommen wurde. Diese Entwicklung wird zurecht kritisiert, und ja, in meinen Augen sollte der örtliche Einzelhandel, ob es jetzt ein Schlachter ist, ein Buchhändler, ein Schuhgeschäft, oder ein Juwelier, die primäre Anlaufstelle sein, wenn man einkauft, und etwas aus eben jenen Produktkategorien auf seiner Einkaufsliste hat. Okay, letzterer wird wohl nicht allzu häufig frequentiert sein, aber das Prinzip steht. Loyalität gegenüber dem Einzelhandel ist aber keine Einbahnstraße, und gegen Unternehmen wie Amazon zu wettern, oftmals mit einem braun angehauchten dummdeutschen Unterton, greift hier einfach zu kurz. Es gibt hier, allen lokalpatriotischen Stammtischreden zum Trotz, eine glasklare und indiskutable Bringschuld von Seiten des Einzelhandels. Die Anforderungen von Kunden ändern sich, und Geschäfte müssen diesen Wandel nicht nur begreifen, sondern auch mitgehen, oder sie werden untergehen.
Historische Stadtkerne mit einem breit gefächerten Angebot an unterschiedlichen Geschäften...

wie hier in Speyer sind leider immer mehr die Ausnahme. Viele Innenstädte sterben entweder immer mehr aus, oder sind vom Ladenangebot her kaum noch von den großen Einkaufszentren zu unterscheiden.

Aber woran scheitert es denn nun genau? Warum werden Onlineplattformen wie Amazon so oft bevorzugt? Die Gründe sind mannigfaltig, ich werde hier nur auf einige wenige eingehen, die in meinen Augen besonders gravierend sind. Da hätten wir einerseits das Problem, dass gerade bei alteingesessenen Händlern oftmals nur ein relativ eingeschränktes Warensortiment zu finden ist. Nicht falsch verstehen, eine gewisse Einschränkung auf Produkte, mit denen man sich auskennt, ist absolut verständlich und sogar positiv, wenn man jedoch nur eine bestimmte Marke vorhält, oder nur Bücher aus einem bestimmten Themenkreis, und da jeweils nur ein oder zwei Exemplare, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Kunden lieber online gehen.
Neben der Qualität und Auswahl beim Sortiment ist auch die Qualität des Ladengeschäfts an sich wichtig. Wer seinen Laden seit den späten 1970ern nicht mehr aufgefrischt hat, der mag vielleicht auf seine Stammkundschaft zählen können, jedoch nicht auf Laufkundschaft oder jüngere Generationen, die lieber online einkaufen, oder zu einem zeitgemäß eingerichteten, und ausgestatteten Konkurrenzgeschäft gehen. Gleiches gilt für Neugründungen, die z.B. einfach nur irgendwelche Kleiderständer von Ikea in einen ansonsten komplett kahlen Geschäft aufstellen, und sich dann wundern, warum kaum jemand in den Laden kommt. Außenwirkung ist bei jeder Art von Geschäft extrem wichtig, und egal ob man eine Neugründung plant, oder sein Geschäft seit den Zeiten von Bundeskanzler Kiesinger unverändert betreibt, man sollte sich immer vor Augen führen, dass die eigene Wahrnehmung des eigenen Geschäfts sich grundlegend von der Außenwahrnehmung unterscheiden kann. 
In diesem Zusammenhang komme ich nicht umhin, kurz auf die technische Ausstattung zu sprechen zu kommen. Die Möglichkeit der Kartenzahlung ist mittlerweile eigentlich ein Standard, und wer sich heutzutage immer noch weigert, ein elektronisches Kassensystem samt Kartenleser einzusetzen, bettelt geradezu nach einer Insolvenz. Contactless-Zahlung mag zwar noch nicht allzu weit verbreitet sein, zumindest in Deutschland, allerdings haben die meisten Kartenterminals heutzutage schon die nötige Hardware, weshalb eine Freischaltung dieser Funktion kein Beinbruch sein sollte.

Das auch eine etwas veraltete Bausubstanz so aufgefrischt werden kann, dass sie attraktiv ist, zeigt der gerade neu gestaltete SuperValu im Einkaufszentrum Merchant's Quay in Cork. Lange Jahre wirkte dieser Laden wie in den 1990ern hängen geblieben, und zwar im schlechten Teil der 1990er.

Nach einem Umbau sieht das ganze jetzt so aus. Offene, einladende Flächen, Regale, in denen die Produkte auch tatsächlich zur Geltung kommen, und eine Beleuchtung, die nicht mehr ganz so stark an ein Großraumbüro erinnert. So sollten Supermärkte, und Geschäfte generell, Anfang des 21. Jahrhunderts aussehen.

Dann hätten wir da noch das leidige Problem der Öffnungszeiten. Das unabhängige Einzelhändler nicht mit den Möglichkeiten einer großen Kette mithalten können ist mir schon klar, aber ich werde es nie verstehen, wieso ein Geschäft um 10:00 öffnet, von 12:00 – 14:00 Mittagspause hat, und dann um 16:00 schon wieder schließt. Ach ja, am Donnerstag hat man bis 18:00 geöffnet, dafür am Samstag komplett geschlossen. Wir reden hier wohlgemerkt nicht von einer Anwaltskanzlei, bei der ich so etwas ja noch verstanden hätte, sondern von einem Schlachter. Wer den Schritt wagt, ein Geschäft zu eröffnen, der sollte definitiv auch Öffnungszeiten einplanen, bei denen auch Berufstätige zumindest die Chance haben, vorbeizuschauen, ohne extra einen Tag Urlaub nehmen zu müssen.
Jaaa, ich weiß. Apple ist in Deutschland gerade alles andere als beliebt. Trotzdem sollte jeder Einzelhändler zumindest einmal einen Blick in einen Apple Store, wie diesen hier in der Kärntner Straße in Wien, werfen.

Ich verstehe, dass nicht jeder Händler in seinen Geschäftsräumen den gleichen Platz zur Verfügung haben wird, wie selbst ein kleiner Apple Store. Allerdings gelten die Grundprinzipien, indirekte Beleuchtung, aufgeräumtes Erscheinungsbild, und ein Fokus auf die Produkte, die verkauft werden, für jeden Händler. 

Mit den richtigen Ideen kann man genug Produkte vorrätig halten, ohne dass der Verkaufsraum überladen wirkt. Quelle für alle Bilder oben ist die Pressemitteilung zur Eröffnung des Apple Store Kärntner Straße.
Dann wäre da noch das leidige Thema Online-Präsenz. In Deutschland ist man ja immer noch irrigerweise der Meinung, das Internet wäre eine Modeerscheinung, oder einfach nur nutzloser Firlefanz für „Hipster“, „Millennials“, oder welche abwertenden Labels sich die Friedhofsanwärter der Einbildungsbürgergeneration auch immer für meine Generation ausdenken, wäre. Über diese Idiotie könnte ich mich Stunden auslassen. Fakt ist dass das Internet mittlerweile genau so fest im deutschen Alltag verankert ist wie Ausländerhass oder häusliche Gewalt, wenn auch bei weitem nicht so gesellschaftlich akzeptiert. Eine vernünftige Präsenz sowohl im Netz an sich, als auch in den sozialen Medien ist unerlässlich für ein erfolgreiches Unternehmen. Gleiches gilt für einen vernünftigen Eintrag in Kartendiensten wie Google Maps. Leider sind ein erschreckender Anteil der deutschen Einzelhändler, vor allem der unabhängigen Einzelhändler, in diesem Raum kaum vertreten. 
Fairerweise muss man dazu erwähnen, dass eine Expansion in den Online-Bereich, die über eine einfache Website sowie gut gepflegte Twitter-, und Facebook-Accounts hinausgeht, sehr aufwändig ist. Gerade für kleine Einzelhändler ist der Aufwand, mit dem z.B. Ein Online-Shop verbunden ist, kaum bis gar nicht zu stämmen. Auch wenn die Einrichtung eines Shops mit den richtigen Tools und Templates überraschend schnell gehen kann, immerhin gibt es fertige Plattformen wie Magento, oder Squarespace, so ist die Versandabwicklung und Lagerhaltung, die mit einem Online Store verbunden ist, aufwändiger und kostspieliger, als man zuerst glauben mag. Von der rechtlichen Perspektive aus ist eine derartige Plattform auch nicht ohne, gerade mit Blick auf die im Mai 2018 in Kraft tretende neue Datenschutzverordnung. Yep, jetzt hat es der Themenkomplex DSGVO/GDPR auch auf meine Blogs geschafft ;) 
Nicht zuletzt haben wir es auch, gerade bei älteren Semestern, mit einem allgemeinen Unverständnis über die Möglichkeiten, die das Internet bietet, zu tun. Die Tatsache, dass man die Firmenwebsite ganz bequem von zuhause aus aktualisieren, oder auf Facebook-Kommentare von Kunden eingehen kann, ist praktisch komplett unbekannt, ebenso die potentielle Reichweitensteigerung, die damit einhergeht, dass das Internet eben nicht ortsgebunden ist.

Wie kann der Einzelhandel jetzt aus dieser Krise, in die er sich dank maßloser Selbstüberschätzung und kompletter Verkennung der Entwicklungen der letzten Jahre, selbst manövriert hat, befreien? Nun, als allererstes muss die Realisierung kommen, dass es ein „weiter so“ nicht geben kann, so schmerzhaft dies auch sein mag. In dem Zusammenhang sollte man dann schauen, was Online-Giganten wie Amazon groß gemacht hat, und welche Komponenten von Amazons Erfolgsrezept man eventuell selbst ausnutzen könnte. Amazon ist nämlich, auch wenn dies gerne von „Kapitalismuskritikern“ anders dargestellt wird, keine Naturgewalt, und nicht von heute auf morgen so groß geworden. Die Firma ist vor allem deshalb zu dem Giganten geworden, der sie heute ist, weil sie eine breite Palette von Produkten auf einer einfach zu bedienenden Website zu fairen Konditionen angeboten hat. Wie ich schon in meiner Artikelreihe zur verfehlten Digitalpolitik der EU geschrieben hatte, zählt für den Benutzer zuallererst diese Kriterien. 
Nun kann ein einzelner Einzelhändler so etwas unmöglich stemmen, sofern er nicht von Natur aus IT-affin ist. Wie ist diese Quadratur des Kreises denn nun zu schaffen? Da bedarf es doch sicherlich irgendwelcher Whiz-Kids aus dem Silicon Valley, die mit einer revolutionären neuen App das ganze Konzept des Einzelhandels auf den Kopf stellen, oder? Ha, falsch gedacht. Die Lösung ist eigentlich sogar schon ziemlich alt, mindestens hundert Jahre, das Prinzip von Kooperativen oder Genossenschaften. Ein derartiger Zusammenschluss von Einzelhändlern kann ohne weiteres den Aufbau einer gemeinsamen IT-Infrastruktur stemmen, vom Einkauf der Server, über die nötige Software (inklusive Virtualisierungslösung, versteht sich. So viel Firmenpatriotismus muss sein ;) ), oder eine einheitliche Plattform für Kartenzahlung bis hin im Extremfall zum Aufbau eines gemeinschaftlichen Lagers bzw. Versandzentrums, oder dem Entwurf eines ansprechenden, übergreifenden Webshops. 
Doch nicht nur von Seiten der Infrastruktur bietet ein derartiger Ansatz deutliche Vorteile. Eine derartige Genossenschaft kann gegenüber allen Arten von Dienstleistern und Zulieferern deutlich selbstbewusster auftreten. Eine derartige enge Zusammenarbeit Eine derartige enge Zusammenarbeit sorgt zwangsläufigerweise auch für einen engen Austausch zwischen den einzelnen Gewerbetreibenden, was wiederum zu einem Wissenstransfer führen wird. Im Extremfall kann man sogar, natürlich im Zusammenspiel mit der jeweiligen Stadt, ein gemeinsames Branding, eine Art Dachmarke aufbauen, um die Außenwirkung der jeweiligen Einzelhändler zu erhöhen.

Ironischerweise ist es nämlich genau da, wo Amazon angreifbar ist, wirkt doch der Online Store des Giganten aus Seattle in letzter Zeit immer mehr überladen und antiquiert. Mit einem frischen, attraktiven Webshop kann man also durchaus punkten. Wie so etwas aussehen kann, sieht man nicht zuletzt auch an einem kleinen Buchgeschäft aus meinem ehemaligen Wohnort. Die Bücherstube Schöneck wird im Ein-Mann-Betrieb von ihrer Inhaberin betrieben. Die Öffnungszeiten sind, nun ja, "übersichtlich", und das Geschäft selbst besteht im Endeffekt aus einem umgerüsteten Wohnzimmer in einem 08/15-Einfamilienhaus aus den 1960ern. So ein Geschäft würde man nun nicht unbedingt als e-Commerce-, oder Social-Media-Erfolg ansehen, oder? Tja, falsch gedacht. Die Bücherstube Schöneck betreibt nicht nur eine recht gut gepflegte Facebook-Seite, die zumindest besser aussieht als meine eigene Facebook-Seite. Im Zusammenhang mit dem Buchgroßhändler Libri betreibt die Bücherstube auch einen sehr gut aufgestellten Online-Shop, inklusive Unterstützung für den e-Reader Tolino. Genau diese Kombination aus kleinem, unscheinbaren Ladengeschäft und logistischer Unterstützung für Online-Handel ist eine der besten Strategien, um im 21. Jahrhundert zu bestehen. 


Das Händler wie Amazon eine Herausforderung für den klassischen Einzelhandel darstellen, ist nicht unbedingt neu. Auch große Ketten sind nicht immun dagegen, wie aktuell der Kollaps der Spielzeug-Kette Toys-R-Us gerade zeigt. Und ja, in Zeiten in denen Amazon alles von Fernsehserien über Stative bis hin zu selbst gebrandeten Tablets anbietet, kann die Konkurrenz manchmal übermächtig erscheinen. Wer allerdings auf einfache lokalpatriotische Parolendrescherei zurückfällt, der greift Amazon nicht an, sondern fügt sich einfach nur in eine bequeme Opferrolle. Amazon & Co. sind verwundbar, ihre Geschäftsmodelle keine Hexerei. Wer es schafft, die Vorteile von branchenübergreifenden Online-Shops wie Amazon mit den inhärenten Stärken von unabhängigen Einzelhändlern zu verbinden, der ist bestens für die Zukunft gerüstet. Dazu muss man nur bereit sein, einmal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.


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