Deutschland und das Home Office


Hach ja. Deutschland und die Digitalisierung – Ein Trauerspiel vor dem Herrn. Ich hab mich ja schon des Öfteren zu diesem Thema ausgelassen, aber gerade jetzt, in Zeiten von COVID-19, kocht die ganze Thematik wieder verstärkt hoch, da aufgrund von Social-Distancing-Maßnahmen ein beträchtlicher Anteil von Arbeitnehmern gezwungen ist, von zuhause aus zu arbeiten. Ich bin selbst ebenfalls davon betroffen, und arbeite seit dem 13. März im Home-Office, seit dem Beginn des Lockdowns hier in Irland. 
Nun ist der Wechsel ins Home-Office nicht unbedingt immer leicht. Ich selbst habe insoweit einen Vorteil, als dass ich von Anfang an darauf bestanden habe, in meiner Wohnung einen Arbeitsbereich zu haben, hauptsächlich aufgrund meiner Aktivitäten als Blogger und YouTuber. Insofern war es bei mir relativ leicht, auf Heimarbeit umzusteigen. Ich musste im Endeffekt nur mein MacBook aus seinem Ständer entfernen und den Arbeitslaptop an seine Stelle packen, und ich konnte loslegen. Für viele Kollegen war dies jedoch nicht so einfach, und ich sehe bei Videocalls immer wieder, wie viele Leute in ihren Schlafzimmern oder Küchen sitzen, was nicht nur unbequem aussieht, sondern teilweise auch für einige „interessante“ Situationen sorgt.  In Anbetracht der Tatsache, dass der Wechsel in die Heimarbeit in vielen Fällen über Nacht erfolgen musste, ist dies offen gesagt nicht wirklich verwunderlich.

Der Wechsel von meinem Blog-, und Video-Setup...


...zu einem Heimarbeitsplatz bestand für mich aus nichts weiterem als einem Tausch des Laptops.

Soweit, so normal könnte man meinen. Jedoch zeigt ein kurzer Blick in die deutsche Medienlandschaft, dass man in meiner alten Heimat schon wieder in die alten Denkmuster zurückgefallen ist, und Heimarbeit, und die Änderungen, die mit COVID-19 einhergehen, erst einmal schlecht redet und versucht zu verhindern. Hierbei scheut man sich auch nicht, alle möglichen Gesetze und Vorschriften bis zur Unkenntlichkeit zu verzerren, und mit dieser hanebüchenen Grundlage versucht, Mitarbeiter schnellstmöglich in Großraumbüros zurückzuholen, oder sie gar nicht erst ins Home Office zu lassen. 
Zugegeben, der Wechsel ins Home Office war auch hier in Irland nicht leicht. Viele Unternehmen hatten nur wenige Tage, um teilweise hunderten oder tausenden Mitarbeitern zu ermöglichen, von zuhause zu arbeiten. Der große Unterschied ist jedoch, dass die meisten Schwierigkeiten hier auf der grünen Insel auf logistische Engpässe zurückzuführen waren, wie z.B. Die Anforderung, auf einmal tausend Laptops zu organisieren, zu provisionieren, und die dazugehörigen Software-, und VPN-Zugänge zu organisieren, oder mehrere tausend iMacs zu den Mitarbeitern nach hause zu bekommen. Letzteres war eine Situation, mit der ein ehemaliger Arbeitgeber von mir konfrontiert war. Bei all diesen Fragen um Hardware, VPN, Sicherheit, etc. stand jedoch das Prinzip Home Office nie zur Debatte. Es ging immer nur darum, wie man dies ermöglichen kann. 
In Deutschland hingegen scheint man diese Fragen zu einem Kulturkampf zu erheben, zu einem weiteren „Angriff“ auf das gewohnte Wirtschaftsleben. Diese traurige armselige Debatte zeigt dabei einige unangenehme Sachverhalte glasklar auf. So zeigt sich einerseits, wie sehr Deutschland nach wie vor mit der Digitalisierung auf Kriegsfuß steht. Dies mag vor fünf bis zehn Jahren noch amüsant gewesen sein, mittlerweile ist es einfach nur noch peinlich, was hier passiert. Ein Teil des Widerstandes ist dabei natürlich auf Geschäftsführer, CEOs und ähnliche selbsternannte „Eliten“ zurückzuführen. Der Gedanke, dass man die eigenen Mitarbeiter nicht mehr an den Schreibtisch ketten könnte, oder ihnen sogar so etwas wie „Vertrauen“ entgegenzubringen, so etwas ist einfach undenkbar für viele Führungskräfte in deutschen Unternehmen. Und dann auch noch etwas in die Mitarbeiter „Investieren“? Laptops, oder auch nur Chromebooks? Wo kommen wir denn da hin? Die sollen gefälligst zurück ins Büro kommen, wo sein an kahlen Schreibtischen mit gerade mal ausreichenden Thin Clients sitzen, und wir sie unter genauer Kontrolle haben. Nachschub gibt es ja dank der aktuellen Krise genug. Manchmal habe ich echt das Gefühl, dass viele Führungskräfte in Deutschland sich auf einer Plantage in den Südstaaten der USA vor 1861 wohl gefühlt hätten!
Okay, genug Sarkasmus erstmal. Es scheint, als wolle man in Deutschland einfach nicht wahrhaben wollen, was für ein massiver Paradigmenwechsel sich momentan im Zuge der COVID-19-Pandemie vollzieht. Selbst wenn die Wirtschaft wieder hochgefahren wird, werden Maßnahmen zum Social Distancing etc. es unmöglich machen, die Schreibtische wieder so eng zu packen, wie es vor Beginn der Epidemie war, auch wenn ich mir sicher bin, dass es viele Unternehmen es trotzdem versuchen werden. Dies wird mindestens so lange erfolgen müssen, bis ein wirksamer Impfstoff entwickelt und großflächige Impfungen durchgeführt werden konnten. Dies kann Monate dauern, Jahre, und es kann auch überhaupt nicht passieren. Und selbst nach erfolgter Impfkampagne ist davon auszugehen, dass viele Arbeitnehmer nicht ohne weiteres ins Büro zurückkehren werden, egal was Manager oder Personalchefs sagen. Es ist davon auszugehen, dass viele Leute ein mulmiges Gefühl in der Magengegend haben werden, etwas was durch zu forsche Forderungen der jeweiligen Geschäftsführung noch verstärkt werden wird. Man kann es drehen und wenden wie man will, die Zeit des Großraumbüros als Zentrum der modernen Arbeitswelt ist abgelaufen.
Gleichzeitig muss man eingestehen, dass eine reine Home-Office-Tätigkeit nichts für jedermann ist. Da wäre einerseits der erbärmliche Zustand des Breitbandausbaus in Deutschland, ein Zustand der nicht dadurch besser wird, dass die Bundespolitik nach wie vor schön die Beine breit macht für die großen Telekommunikationsunternehmen und sich von ihnen nach Strich und Faden verarschen lässt, anstatt ihrer Funktion nachzukommen und diesen Unternehmen ein für alle Mal klarzumachen, wer das Sagen hat. 
Aber auch wenn man die zum Himmel schreiende Inkompetenz der deutschen Regierung in IT-Belangen außer Acht lässt gibt es genug Gründe, Büros als solches nicht komplett aufzugeben. Einerseits wäre da die Platzthematik. Nicht jeder hat in seiner Wohnung das Glück, einen extra Raum für ein Home Office zu haben. Wie bereits eingangs erwähnt, sind viele meiner Kollegen gezwungen, vom Küchentisch, Wohnzimmer, oder ihrem Schlafzimmer heraus zu arbeiten, was eine reichlich suboptimale Lösung ist, um es mal diplomatisch auszudrücken. Für derartige Arbeitnehmer ist ein Arbeitsplatz im Büro die einzige Option. Gleiches gilt für viele Entwickler, Produktdesigner, und andere die im Bereich Forschung und Entwicklung arbeiten. Hier ist es oftmals aus puren Sicherheitsgründen nicht möglich, von zuhause aus zu arbeiten, nicht zuletzt da Produktpiraterie und Industriespionage zu einer der größten Herausforderungen in der modernen Wirtschaft gehören.
Und dann wäre da natürlich noch die soziale Komponente. Wir Menschen sind nun mal soziale Wesen, was sich auch in dieser aktuellen Krise zeigt. Wir haben das Bedürfnis, zumindest bis zu einem gewissen Punkt mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, zu interagieren, und diese Komponente geht im Home Office schlicht und einfach verloren. So besteht nicht nur die Gefahr einer zunehmenden Vereinsamung, die Versuchung, Sachen einfach schleifen zu lassen wird auch immer größer. Ich merke das an mir selbst, ich bin merklich emotionaler und gereizter, seitdem ich von zuhause arbeite, und gleichzeitig bleibt leider immer mehr liegen. Dieser Artikel hätte eigentlich vor drei Wochen online gehen sollen! Die soziale Kontrolle, das rigidere Umfeld des Büros ist in so einem Fall einfach besser für die Produktivität der Mitarbeiter, weshalb Firmen wie Shopify für mich einfach nicht in Frage kommen. Gleichzeitig gibt es durchaus Situationen, in denen man am Home Office einfach nicht vorbeikommt. Hier wird es in Zukunft wohl auf eine Art Mischbetrieb zwischen Büro und Home Office hinauslaufen.
Großraumbüros wie dieses werden in ihrer aktuellen Form in einer Post-COVID-Welt nicht weiterbestehen können, jedenfalls nicht ohne massive Veränderungen!

Auch bei Büros mit massiven Trennwänden wird es Änderungen geben müssen.

Inwieweit großzügige Kantinen und Pausenräume in Zukunft noch praktikabel sind, ist momentan noch nicht absehbar.

Dementsprechend wird sich das Büro ändern müssen. Es wird vom quasi alleinigen Hort der Arbeit zu einer Art Hub für Arbeitnehmer werden, zu einem Ort für Schulungen, Bewerbungsgespräche, als Arbeitsplatz für diejenigen, die nicht, oder nur eingeschränkt von zuhause aus arbeiten können, sowie als Arbeitsplatz für Entwickler, Produktdesigner und Tester, oder die Personalabteilung. Diese neuen Büros werden weniger Arbeitsplätze als solches aufweisen, diese werden jedoch stärker voneinander abgetrennt sein. Es wird darauf hinauslaufen, dass es mehr Rückzugsräume für Mitarbeiter in diesen neuen Büros gibt, und auch mehr kleine Konferenzräume und Einzelbüros in die man sich zurückziehen kann. In vielerlei Hinsicht werden diese „neuen“ Büros eher den Shared Working Spaces von WeWork ähneln, als den aktuellen Legebatterien in Großraumbüros, nicht aufgrund von architektonischen Spielereien, sondern aufgrund der Anforderungen im Rahmen der COVID-Krise.
Wie genau diese Büros in der Zukunft genau aussehen werden, steht natürlich noch in den Sternen und hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie schnell die globale Staatengemeinschaft diese Krise bewältigen kann. Unabhängig davon ist die enorme Größe des kommenden Paradigmenwechsels bereits jetzt abzusehen, und sich auf diesen einzustellen ist nichts weiter als gesunder Menschenverstand. Länder und Gesellschaften, die dies schaffen, werden aus der aktuellen Krise gestärkt hervorgehen. Für Länder wie Deutschland, die sich mit Kräften gegen diese Entwicklung sperren, wird es hingegen immer schwieriger werden, in dieser neuen Welt noch relevant zu bleiben.



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