Abwahl von Trump - Kein Grund zum Jubeln

Vor etwas weniger als vier Jahren, einen Monat nach der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident, habe ich einen Artikel geschrieben, in dem ich mich nicht nur über die Gegenaufklärung ausgelassen habe, die durch Donald Trump repräsentiert wird, sondern auch vor einer zu großen Hochnäsigkeit und Arroganz gegenüber den USA gewarnt, da wir hier in Europa eine ebenso starke Rebellion gegen Wissen, Wissenschaft und Aufklärung beobachten konnte. Jetzt, wo sich die Ära Trump nach dem augenscheinlichen Wahlsieg seines demokratischen Herausforderers Joe Biden dem Ende zu neigen scheint, erhebt sich hier auf unserer Seite des Atlantiks wieder eine Welle der süffisanten Genugtuung und selbstverliebten Gehässigkeit, während in den USA verständlicherweise vielerorts Freude und Erleichterung durchbrechen.

Ich kann weder die Gehässigkeit hier in Europa noch die Freude und Erleichterung in den USA teilen. Versteht mich nicht falsch, ich sehe mich nach wie vor in vielen Punkten als linksliberal, und ja, ich bin heilfroh, das Biden gewonnen hat, und dass es zumindest eine Chance gibt, dass die Demokraten bis Januar auch noch die Mehrheit im Senat erlangen. Ich sehe allerdings auch die nackten Zahlen. Ich sehe, wie wenig Abstand in vielen Staaten zwischen Biden und Trump lag, ich sehe, wie viele Menschen trotz, oder vielleicht gerade wegen der vielen Rechtsbrüche, der rassistischen Ausfälle, der Ablehnung jedes noch so kleinen Hauchs an Anstand, für Trump gestimmt haben, und wie viele auch jetzt noch jeder Verschwörungs-Story, jeder Lüge, jedem noch so sinnlosen Gestammel von Trump glauben. Ganz offen, dabei vergeht mir die Lust zum Feiern.

Denn auch wenn die widerwärtige Person Donald Trump demnächst nicht mehr im Weißen Haus sitzen dürfte, so hat seine politische Saat längst Wurzeln geschlagen in der politischen Landschaft der USA. Protegés von Trump, Rassisten, Verschwörungsgläubige und Neofaschisten haben es alle im Kielwasser von Trump in die Parlamente der diversen Bundes-Staaten, sowie in beide Häuser des US-Kongress geschafft, und erfreuen sich teils hoher Beliebtheit in ihren Wahlkreisen.

Und wiederum sind wir in hier in Europa alles andere als Frei von derartigen „Politikern“. Seit der Wahl von Trump haben sich Parteien wie die AfD, Jobbik, oder PiS in Europa festgefressen, und in London sitzt seit 2018 eine drittklassige Trump-Kopie in der Downing Street, der sein Land auf Biegen und brechen in den Abgrund stürzen will um seine Großmannssucht zu befriedigen. Rassistisch und neofaschistisch motivierte Gewalttaten, Morde, und Anschläge nehmen immer weiter zu, siehe z.B. Halle oder Hanau, und gerade jetzt, inmitten der größten Pandemie seit der Spanischen Grippe von 1918, gehen regelmäßig tausende Unruhestifter, Wissenschaftsleugner, Rechtsextremisten und sonstige Schwurbler auf die Straßen, um gegen die zur Eindämmung der Pandemie leider notwendigen Maßnahmen zu demonstrieren, und machen nebenbei Jagd auf Journalisten, greifen Polizisten an, oder versuchen den Reichstag zu stürmen. Die Bilder aus Leipzig diesen Samstag waren einfach nur erschütternd.

Trump war nicht das Ende dieser Bewegung, sondern nur die sichtbarste Ausgeburt einer seit Jahren andauernden Gegen-Aufklärung, und seine Abwahl wird diese Bewegung nicht abbremsen. Es kommt weiterhin auf jeden einzelnen an, dieser Flut der Ignoranz und Intoleranz entgegenzutreten, ihnen keine Bühne zu bieten. In diesem Zusammenhang ist es leider auch erforderlich, einer für viele Menschen leider unbequemen Tatsache ins Auge zu sehen, nämlich dass ein beträchtlicher Teil der Anhänger dieser Gegen-Aufklärung mittlerweile derart radikalisiert ist, dass ein Dialog nicht mehr möglich ist. Leider ist diese Tatsache noch bei weitem nicht bei jedem wirklich angekommen, zu stark ist die Fixierung auf Dialog und Verständnis. Nicht falsch verstehen, Dialog und Verständnis sind elementare Bestandteile einer freiheitlichen Gesellschaft, sie verlieren jedoch ihre Wirkung im Angesicht eines stetig wachsenden Teils der Bevölkerung der diese Bestandteile, und die westliche Gesellschaftsordnung generell, rundweg ablehnt. Hier ist es daher um so wichtiger, dass sich eine wehrhafte Demokratie auch wirklich zur Wehr setzt und alle Mittel des Rechtsstaats einsetzt, um diese Bedrohung, und ja, es ist eine Bedrohung, auszuschalten. 

Ich möchte optimistisch sein, Ich wünsche mir so sehr, dass sich das Zeitalter der Autokraten, der „alternativen Fakten“, der Wissenschaftsverlegunung und der auf beiden Seiten immer radikaleren Lagerbildung endlich dem Ende zuneigt. Leider geben die Wahlergebnisse in den USA, die andauernden Unruhen in Deutschland, die Brexit-Misere in Großbritannien und der immer stärker um sich greifende Neofaschismus in Osteuropa wenig Anlass zur Hoffnung.


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