Buchkritik Apple Intern - Echt jetzt?

Seit einigen Monaten ist ein einziges Buch immer wieder Gesprächsthema, wenn ich mit ehemaligen Kollegen aus meiner Zeit bei Apple spreche. Und die Kommentare, die ich höre, sind fast durchgehend negativ. Worum es geht? Apple Intern, geschrieben von Daniela Kickl, ihres Zeichens ehemalige AppleCare-Mitarbeiterin. Im Vorfeld seiner Veröffentlichung wurde es in den Medien als das Enthüllungsbuch schlechthin zum Thema Apple gehandelt, als Abrechnung mit den angeblich unmenschlichen Umtrieben von Apple in Cork. Es kam auch genau zum rechten Zeitpunkt, als der seit Jahren schwelende Rechtsstreit zwischen der Irischen Regierung und der Europäischen Kommission über angeblich illegale Steuervorteile für Apple wieder aufflammte. Da ich selbst nicht unbedingt im guten mit Apple auseinandergegangen bin, war ich natürlich neugierig. Welche Kritikpunkte würden in dem Buch angesprochen werden? Und wie zum Geier hatte sie es überhaupt geschafft, das Buch herauszubringen, wo Apple es doch erfahrungsgemäß alles andere als gern sieht, wenn Interna ausgeplaudert werden. Aller negativen Kritik und Kommentare zum Trotz habe ich mich hier auf meinem Blog mit meiner Meinung zurückgehalten, bis ich eine Chance hatte, mir selbst ein Bild davon zu machen. Nachdem ich mir bei einem Arbeitskollegen seine Kopie ausgeborgt habe, ist es jetzt soweit. 
Ich muss zugeben, dass das Fazit ernüchternd ausfällt. Anstelle der auf dem Cover angesprochenen drei Jahre bei Apple deckt das Buch mehr oder weniger einen Zeitraum von neun Monaten ab, vom Sommer 2014 bis zum Frühjahr 2015. Der Schreibstil ist, um es mal milde zu sagen (Ja, der Kalauer musste sein!) gewöhnungsbedürftig. Die Autorin versucht sich offenbar an einer Art inneren Monolog, dieser ist jedoch über weite Strecken derart holprig, dass kein irgendwie gearteter Lesefluss aufkommen kann. Der zeitliche Ablauf ist nicht schlüssig, die Wahl einiger Zitate mehr als befremdlich, und den Sinn darin, die komplette Commencement Adress von Steve Jobs in Stanford abzudrucken, erschließt sich mir nach wie vor nicht. 
Die Wortwahl ist teilweise mehr als grenzwertig,  so bezeichnet sie ihren Lebenspartner durch die Bank weg als Sweetheart, was mehr als befremdlich ist, und in meinen Augen bei einem derartigen Werk absolut kontraproduktiv und amateurhaft wirkt. Sorry, ein Buch ist etwas anderes als ein Blog, da muss man sich dran gewöhnen, das höhere Standards angewendet werden. Man muss der Autorin allerdings neidlos zugestehen, dass sie die Aufregung der ersten Tage bei Apple geradezu perfekt eingefangen hat. Vom ersten betreten der Lobby von Gebäude 4 in Hollyhill, über das Willkommenspaket bis hin zu den Präsentationen in denen Apple sich vorstellt, oder der Tatsache, dass das Sozialamt extra für einen neuen Schwung Apple-Rekruten am Nachmittag öffnet kam mir alle sehr bekannt vor, nur dass Gebäude 4 noch in der Planungsphase war, als ich anfing, und bei mir alles über den alten Haupteingang im Gebäude 2 lief. In diesem Abschnitt konnte ich richtig in das Buch eintauchen.
Gebäude 3 auf dem Apple-Campus in Cork nach dem Umbau. Einfach nur, weil Artikel mit Bildern generell attraktiver sind ;)
Hinter diesen Glasscheiben befindet sich das AppleCare-Callcenter, im Buch auch als Chicken Farm bezeichnet.
Leider zerfällt diese Immersion sehr schnell, je weiter man ins Buch vordringt, desto deutlicher wird, dass die Autorin offenbar an einer Selbstüberschätzung leidet, die beinahe unerträglich ist. Sehr schnell beginnt Frau Kickl, über all jene herzuziehen, die Apple oder dem Management gegenüber positiv eingestellt sind, stellt sie als gehirngewaschene Dauergrinser dar, während andere Kollegen, gerade die jüngeren, zu ahnungslosen Glücksrittern degradiert werden., und ältere fast ausnahmslos zu gescheiterten Existenzen, für die Apple die letzte Chance darstellt. Sie selbst und eine Handvoll enger “Freunde” inszeniert sie als tapferen Widerstand gegen die ach so unmenschlichen Bedingungen bei AppleCare, quasi eine Art iResistance. 
Auch Cork, ihre neue Heimat, kriegt sein Fett weg, in dem sie die Stadt und das County als die Steiermark Irlands bezeichnet. Da wäre erst einmal nichts schlimmes dran, allerdings wird aus dem Kontext schnell klar, dass dies nicht als Kompliment gedacht ist, sondern ziemlich herablassend gemeint ist. Da der mütterliche Zweig meiner Familie aus der Obersteiermark kommt, gewinnt die Autorin mit dieser Art Vergleich bei mir natürlich keinen Blumentopf. Diese extrem vereinfachte Sicht der Dinge zieht sich durch das ganze Buch. Sie führt alle ihr nicht passenden Entscheidungen auf die Formulierung “Business needs” zurück. Zugegeben, diese Formulierung wird teilweise bei AppleCare als Totschlagargument verwendet, allerdings sind solche Sachen wie Urlaubssperren über die Weihnachtszeit nun mal nichts neues, und weiß Gott nicht auf Apple beschränkt. Gerade im Umgang mit Endkunden und Consumer-Produkten ist die Weihnachtszeit eine der aufkommens-, und umsatzstärksten Zeiten des Jahres, was ein entsprechendes Anrufvolumen mit sich bringt. Es ist nur verständlich, dass in so einer Situation “All hands on deck” gebraucht werden. Die Begründung für ihren Aufstand dagegen, dass sie ja schließlich eine Familie habe, kann ich auch nur sehr eingeschränkt nachvollziehen, es gibt genug Familien, bei denen ein oder mehrere Elternteile über die Weihnachtszeit arbeiten müssen.
Ja, auch zur Weihnachtszeit geht es bei Apple rund. Gerade dann.
Generell ist es der Autorin offenbar nicht bewusst, welche Anforderungen an ein Call Center gestellt werden, und AppleCare in Cork ist nichts anderes als ein solches. Erreichbarkeit ist hier das A und O, Warteschleifen sind etwas, was viele Kunden auf den Tod nicht ausstehen können. Erst recht, wenn sie von derart schlechter musikalischer und technischer Qualität sind, wie die bei Apple. Dass in so einer Situation auf die Pausenzeiten und generell die Offline-Zeiten geachtet wird, ist kein Wunder, und nur folgerichtig. In Apple Intern wird es so dargestellt, als ob Mitarbeiter nur 8 Minuten Zeit für Toilettengänge hätten, und als ob jener Aux Code nur dafür verwendet werden dürfte. Dies ist eine bewusste Verzerrung der Tatsachen. Diese 8 Minuten stehen einem Advisor zusätzlich zu seinen regulären Pausen, nämlich einmal 30 Minuten, und zweimal 15 Minuten zur Verfügung. Die 10 Minuten Winding Down am Ende der Schicht bleiben komplett unerwähnt. Wir reden also von insgesamt 78 Minuten Pausenzeit pro Tag, wer es, auch als Raucher, in der Zeit nicht schafft, auf Toilette zu gehen, dem kann ich auch nicht mehr helfen. Von den zweimal 60 Minuten Trainingszeit, die einem AppleCare Advisor pro Woche zur Verfügung stehen, spreche ich in diesem Zusammenhang lieber gar nicht, wobei diese je nach Anruf-, oder später in meinem Fall nach Chatvolumen gekürzt, oder gestrichen werden können. Die Fixierung auf die Toilettenproblematik, und die Art wie die Autorin diese behandelt, schadet der Glaubwürdigkeit dieses Buches ungemein, da es die durchaus bestehenden Probleme trivialisiert.
Das größte Problem in meinen Augen sind jedoch die Verfremdungen, die sie ins Buch eingebaut hat, um halbwegs vor Apple’s Anwaltscorps sicher zu sein. Sicher, ich kann es verstehen, dass die Autorin darauf achten muss, allerdings werden in diesem Buch zeitliche Abläufe, Personen und Ereignisse derart durcheinandergewürfelt, dass es schon mehr als gewagt ist, Apple Intern als Erfahrungsbericht zu bezeichnen. Einiger ihrer Beschreibungen lassen durchaus Rückschlüsse auf ehemalige Kollegen von mir zu, dies führt jedoch nur dazu, klarzumachen, wie sehr das Buch die Tatsachen verdreht. Auch auf die Selbstmordproblematik, die Frau Kickl in ihrem Buch aufbauscht, trifft dies zu. Es gibt kaum gesicherte Aussagen von ihr, hauptsächlich Latrinenparolen von ihr und ihren “Mitverschwörern”. Bezeichnend ist auch, wie abfällig sie sich in diesem Zusammenhang über das Employee Assistance Program von Apple äußert, womit sie einerseits den psychischen Druck kritisiert, dem AppleCare-Mitarbeiter durchaus ausgesetzt sind, aber andererseits die Leute verunglimpft  denen dieser wichtige Dienst geholfen hat, teilweise schwere Krisen zu überwinden.
Bei all diesen Nebelkerzen verlief die Autorin die durchaus realen Probleme bei Apple aus dem Augen. Es liegt nämlich in der Tat einiges im argen. Ja, das Management vor Ort ist in vielen Dingen den USA gegenüber hörig, und ist daher nicht in der Lage, angemessen auf die regionalen Unterschiede der einzelnen Zielmärkte in Europa zu reagieren. Eine übertriebene Geheimhaltung, die schon fast zur Manie geworden ist, sorgt dafür, das Mitarbeiter erst sehr spät Training für neue Produkte erhalten. Im Fall von Apple Music z.B. musste eine Kollegin aus dem Chat Team ein eigenes Support-Dokument zusammenschustern, da das Training erst nach dem Start von Apple Music verfügbar war. Diese Manie führt auch zu einer deutlich spürbaren Grenze zwischen Apple und den Anwohnern in Hollyhill, die oftmals nicht wissen, was genau auf dem Apple Campus passiert, und ist sicherlich zu einem Teil für die Antipathie verantwortlich, die Apple im Rahmen dieser unseligen EU-Steuerdebatte entgegenschlägt. Generell ist die Ausbildung so oder so ein Thema, bei dem bei Apple einiges im argen liegt. Generell sind iOS-Geräte sehr einfach zu bedienen, was die Autorin ja auch selbst schreibt. Allerdings sind auch iPhones nach wie vor technische Geräte, und somit ist AppleCare auch nach wie vor eine technisch orientierte Abteilung. Allerdings ist genau dieser technische Aspekt in der Ausbildung neuer Mitarbeiter in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen, was gerade bei technisch nicht vorgebildeten Kollegen zu einigen Schwierigkeiten führt, und einen zusätzlichen Stressfaktor darstellt.
Die Personalpolitik ist in vielen Punkten absolut undurchsichtig. Dies betrifft bei weitem nicht nur die Neuanstellungen, wo ich mich manchmal frage, wo zu Geier die neuen Kandidaten gefunden wurden, und wie lange sie da rumgelegen haben. Die Strategie, die Anzahl der AppleCare-Mitarbeiter, und der verfügbaren Leitungen gering zu halten, um somit Scherzanrufen vorzubeugen, und dem Produkt AppleCare eine höhere Wertigkeit zu verleihen, ist diplomatisch gesagt kontraproduktiv. Auch interne Beförderungen und Versetzungen sind mehr als fragwürdig. Einige der Manager bei AppleCare sind in meinen Augen derart ungeeignet für jegliche Art von Führungsposition, dass sie noch nicht mal in der AfD Karriere machen könnten. Oder, um es in einem typisch Irischen Ausdruck zu formulieren: They couldn’t organise a piss-up in a brewery! Dabei sind es im Endeffekt die Manager, die ausschlaggebend dafür sind, wie erfolgreich ein Team ist, und wie wohl sich die Mitarbeiter fühlen, was in Apple Intern auch deutlich wird.
Und in gewisser Weise hat Daniela Kickl auch recht, wenn sie behauptet, dass Apple etwas seine Orientierung verloren hätte. Das Management, sowohl in den USA als auch hier in Europa, hat nämlich in der Tat zu einem Teil jene Punkte aus den Augen verloren, die Apple so besonders machen. Hardwaremäßig gibt es kaum etwas, was ein iPhone von einem Samsung Galaxy, einem Huawei oder einem HTC One unterscheidet. Die Displays mögen anders sein, aber CPUs, Speicherchips, RAM, alles stammt oftmals von denselben Lieferanten, und muss sogar aus Platzgründen oftmals ähnlich angeordnet werden auf der Hauptplatine. Bei den iPads und den MacBooks sieht es nicht viel anders aus. Apple kann, sofern sie nicht auf brandneue, revolutionäre Konzepte setzen, nur im Bereich der Betriebssysteme und beim Service punkten, und gerade letzterer wird durch die US-Hörigkeit des Managements und die immer weiter zurückgehende technische Ausbildungskomponente immer weiter untergraben. Leider bleibt es bei ein paar Dialogfetzen, die diese Thematik bestenfalls streifen.
Hier liegt die eigentliche Tragik von Apple Intern. Es übersieht die großen Baustellen, um sich im Endeffekt mit Randnotizen zu beschäftigen. Zurück bleibt nach der Lektüre nur der fahle Nachgeschmack einer auf Papier gedruckten Vendetta. Die Autorin erwähnt fast ausschließlich die negativen Aspekte ihrer Tätigkeit bei Apple, und auch diese nur über einen start beschränkten Zeitraum. Die positiven Aspekte, die Tatsache dass Apple, bei allen operativen Problemen eine sehr gute materielle Infrastruktur zur Verfügung stellt, nebst den Benefits, die Kameradschaft (beschissenes Wort, aber es passt) unter den Kollegen, die Team Nights out, die Parties, all dies wird unter den Tisch gekehrt.
Ereignisse wie dieser "Tag der Kulturen"...
...werden im Buch kaum erwähnt, obwohl sie ein wichtiger Teil  des Lebens bei Apple in Cork sind.
Einen logischen Grund dafür gibt es nicht, es sei denn man hat eine Agenda, die man durchdrücken will. 
Ein ganz normaler Tag im Büro... auch derartige Macken gehören zum Leben bei Apple, was im Buch aber unerwähnt bleibt.
Der Besuch von Tim Cook am 11. November 2015 wird im Buch zwar erwähnt,
...jedoch von der Autorin mit Verachtung und Häme übergossen.
Es ist offensichtlich, dass die Autorin mit viel zu hohen Erwartungen ihren Job bei Apple angetreten hat, ohne sich damit zu beschäftigen, was AppleCare eigentlich ist, und welche Anforderungen an ein modernes Call Center gestellt werden. Die dabei in den Text eingeflossenen Ungenauigkeiten und Widersprüche verstärken nur den Eindruck, dass dieses Buch als Schnellschuss aus persönlichen Gründen veröffentlicht wurde, und dass dabei keine wirkliche Rücksicht auf die Kollegin der Autorin genommen wurde, quasi eine Strategie der publizistischen verbrannten Erde. Denn eines ist sicher: nach diesem Buch werden es Apple-Mitarbeiter, denen es wirklich ein Anliegen ist, die Bedingungen am Standort Cork zu verbessern, deutlich schwerer haben, ernstgenommen zu werden. Alles in allem gehört Apple Intern daher zu den Büchern, die in dieser Form am besten nie das Licht der Welt erblickt hätten. Apple, und insbesondere die Mitarbeiter dort, haben besseres verdient, als dieses Buch.

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