Gedanken zum Osteraufstand 1916 - Ein weiter Weg hinter uns, ein noch weiterer vor uns

All changed, changed utterly -
A terrible beauty is born.

Besser als mit den Worten des Dichters William Butler Yeats kann man die Geburt Irlands nicht beschreiben. Dieses Land, das heute als Symbol für einen erfolgreichen Friedensprozess steht, wurde in einem Wirbel aus Blut, Tränen, Hass und Leid geboren, dessen Schatten bis in unsere Tage reichen. Die Osterproklamation, jenes fast schon mystisch betrachtete Dokument, auf das sich die Republik Irland bis heute beruft, ist bis heute nicht ganz erfüllt, noch immer sind gleiche Bürgerrechte für Männer und Frauen nicht erreicht, verhindert der 8. Zusatz zur Irischen Verfassung das Frauen frei über ihren Körper entscheiden können. Ich hatte mich ja schon in einem früheren Blogartikel über die Verlogenheit der Heldenverehrung im Zusammenhang mit dem Osteraufstand geschrieben.
Und doch hat sich seit jenem Artikel vom 20. September etwas geändert. 
Die Art, wie mit dem Easter Rising umgegangen, darüber gesprochen wurde, hat sich weiterentwickelt. Anstatt nur die Werte der Aufständischen von 1916 wie eine Monstranz vor sich herzutragen wurden, auch in der Öffentlichkeit, Fragen gestellt. Was wurde wirklich erreicht? Was ist noch zu tun? Hat Irland eventuell die Werte der Osterproklamation als ganzes verraten? War der Aufstand gerechtfertigt? War er überhaupt nötig? All dies wurde offen angesprochen, ebenso wie die teilweise schon fast absurd dilettantische Durchführung des Aufstandes. Ich sag nur Schützengräben im St. Stephens Green, einem Stadtpark, der auf allen 4 Seiten von 5-stöckigen Gebäuden umgeben ist! Nicht zuletzt wurde der Aufstand nicht als der Gipfel der Weisheit dargestellt, sondern als der Beginn des Weges, auf dem Irland seitdem unterwegs ist. Die aktuellen Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum des Easter Rising sind daher ein guter Zeitpunkt, um sich einmal klarzumachen, wie weit es Irland seit 1916 geschafft hat.
Nirgendwo wurde dies so klar, wie während des großen Gedenkakts in Dublin heute. Kernpunkt war eine massive Parade durch die Innenstadt von Dublin, entlang der O’Connell Street, und vorbei am General Post Office, dem Hauptpostamt von Dublin, dass aufgrund seiner damals hochmodernen Telegrafenanlagen als Hauptquartier für den Aufstand gedient hatte. Angeführt wurde die Parade von über 3500 Mitgliedern der Irish Defence Forces, was allein schon mehr als symbolträchtig war, waren am GPO und den anderen von den Aufständischen besetzten Gebäuden doch insgesamt nur 1250 schlecht ausgebildete Kämpfer in Stellung gegangen. 





Die schier endlos erscheinende Abfolge von irischen Soldaten in Paradeuniformen, Panzerkampfwagen, und sogar einigen leichten Panzern zeugte davon, dass aus dem bitterarmen, zerstrittenen, und gesellschaftlich erstarrten Eiland am Rande Europas eine selbstbewusste wehrhafte Demokratie geworden war. Die Überflüge des Air Corps taten ihr übriges dazu, wobei man hier dazu sagen muss, das die Piloten wirklich zeigen mussten, was sie drauf hatten. Bei den Sturmböen und immer wieder durchziehenden Schauern in enger Formation im Tiefflug über Dublin zu fliegen erfordert nicht nur Nerven aus Stahl, sondern auch einiges an fliegerischem Können. Währenddessen lagen draußen an der Mündung des Liffey ein weiteres Symbol des Fortschrittes, den Irland seit 1916 gemacht hat, zwei Schiffe der Irischen Marine, das Hochsee-Patrouillenschiff LÉ Samuel Beckett (P61) und das Kanonenboot LÉ Ciara (P42).




Trotz seiner kleinen aber durchaus fähigen Armee hat Irland stets eine neutrale Politik verfolgt, nicht zuletzt auch als Folge der traumatischen Unabhängigkeit. Umso beeindruckender ist daher die Bereitschaft Irlands, an UN-Friedenseinsätzen teilzunehmen, seit 1958 waren Irische Blauhelmsoldaten fast überall zwischen Ost-Timor und Kongo im Einsatz. Sowohl der größte Gefechtseinsatz der Irish Defence Forces, die Belagerung von Jadotville im September 1961, in der 155 irische Blauhelme 5 Tage lang ohne eigene Verluste gegen bis zu 5000 Aufständische, die Luftunterstützung und Artillerie zur Verfügung hatten, durchhielt, als auch der größte Verlust, der Hinterhalt von Niemba, in dem 9 Irische Soldaten getötet wurden, fanden im Kongo statt. Insgesamt haben seit 1958 86 Iren im Rahmen derartiger Einsätze ihr Leben verloren. Es spricht Bände, das ein kleines Land, das weiß Gott genug eigene Probleme hat, sich international derart engagieren kann, und die Veteranen dieser UN-Einsätze hatten dementsprechend auch eine Ehrenposition in der Parade in Dublin inne.


Wenn man die letzten paar Absätze liest, könnte man meinen, Irland sei eine militaristische Monstrosität wie Nordkorea oder die USA (Sorry, der musste sein). Es ist jedoch so, dass es sich beim Osteraufstand um einen bewaffneten Aufstand, man könnte sogar sagen eine militärische Operation handelte, egal wie dilettantisch sie auch geplant wurde. Da die Óglaigh na hÉireann (das ist doch mal ein Name, der Autocorrect zum durchdrehen bringt!), wie die Irischen Streitkräfte auf Irisch heißen, sich jedoch als Nachfolger der Irish Volunteers, die eben den Osteraufstand auf die Beine gestellt haben, sehen, ist ihre Präsenz in der Parade einfach nur folgerichtig. 
Das soll aber nicht heißen, dass es eine reine Militärparade war. Auch die Zivile Seite des Staates war vertreten. Die Garda war vertreten, der Prison Service, die Küstenwache, der Zivilschutz, Feuerwehren und medizinische Notdienste, und auch eine Organisation, vor der ich persönlich den allerhöchsten Respekt habe: Die RNLI. Die Royal National Lifeboat Institution ist eine rein durch Spenden finanzierte Freiwilligen-Organisation, die an den Küsten der Britischen Inseln die Rettung in Seenot geratener Menschen übernimmt. Dabei fahren sie ohne zu zögern auch in den stärksten Stürmen raus, die der Nordatlantik zu bieten hat. Da gerade im Winter Winde in Hurricanestärke und Wellen von 12-13 Metern keine Seltenheit sind, kann man den Mut dieser Männer und Frauen nicht genug betonen!
Der Osteraufstand entstand nicht nur aus einer reinen Ablehnung der britischen Herrschaft heraus. Etwas einfach nur abzulehnen ist einfach, erst wenn man das, was man ablehnt, mit etwas eigenem, und besseren ersetzen kann, kann ein Einspruch, ein Widerstand, oder eine Revolution ernstgenommen werden. Der Aufstand stellte einen ersten blutigen Höhepunkt einer irischen Renaissance dar, die seit der Aufhebung der Penal Laws 1829 in Fahrt gekommen war. So waren auch die Anführer des Osteraufstands oftmals Dichter, Lehrer, Journalisten, oder Musiker. Die Feierlichkeiten beleuchteten auch diese Seite des Osteraufstands.
Ausgerechnet in den Collins Barracks, die unter dem Namen Royal Barracks einer der Ausgangspunkte für den Gegenschlag gegen den Aufstand waren, fand im Anschluss an die Parade ein großes Konzert zur Beleuchtung der kulturellen Entwicklung seit dem Osteraufstand statt. Und Groß ist hier durchaus wörtlich zu nehmen, immerhin nahmen 1114 Sängerinnen und Sänger von 31 Chören aus ganz Irland an dem Konzert unter dem Motto A Nation’s Voice teil, zusätzlich zum RTE National Symphony Orchestra. Kaum ein Ort könnte symbolischer sein für die Entwicklung Irlands von einem vom Krieg zerrissenen Land zu einer modernen und, im Rahmen der 26 Counties, geeinten Nation als die Kaserne mit ihrem erdrückenden Innenhof, die zu einem Museum für die Kultur und Geschichte Irlands wurde. 
Auch wenn Irland noch einen weiten Weg vor sich hat, bis die hohen Ideale der Osterproklamation erfüllt sind, und auch wenn der Umgang mit dem Osteraufstand in Teilen der Gesellschaft teilweise nach wie vor fragwürdig ist, so sollte man dieses Wochenende doch einmal nehmen, um zurückzuschauen, und zu sehen, wie weit diese kleine felsige Insel am Rande Europas es in den letzten 100 Jahren gebracht hat.

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