Deutschland - Was stimmt mit dir nicht?

Kurzer Hinweis in eigener Sache. Dieser Post wurde Ende 2021 geschrieben, im Schatten der Bundestagswahl. Der Russisch-Ukrainische Krieg war da in seiner heutigen Form noch nicht absehbar und wird daher hier auch nicht behandelt. Ich bin am überlegen, einen eigenen Post zu dem Thema zu verfassen, aber ganz offen, ich weiß nicht, ob ich den schreiben kann ohne meinen Laptop oder mein iPad vor lauter Frust aus dem Fenster zu schmeißen!

Mittlerweile ist es fast zehn Jahre her, seitdem ich Deutschland verlassen habe, um mein Glück in Irland zu suchen. Zu behaupten, dass sich mein Leben dadurch grundlegend verändert hat, wäre leicht untertrieben. Auch wenn die Zeit nicht immer einfach war, gerade Apple fällt mir in diesem Zusammenhang sofort ein, so habe ich mich hier in Irland auf eine Art weiterentwickeln können, die in Deutschland aus verschiedenen Gründen gar nicht möglich gewesen wäre. Alleine schon meine Karrierewechsel der letzten Jahre, vom Kundendienst über den Vertrieb bis hin zum Analysten, wären so einfach nicht machbar gewesen. Es war ja schon ein riesiges Drama, als ich Anfang der 2000er, bevor ich überhaupt die Idee für dieses Blog hatte, aus dem Sicherheitsgewerbe in den Kundendienst wechseln wollte. So etwas geht ja für einen Arbeitslosengeldempfänger absolut gar nicht, wo kommen wir denn da hin? Als „Dank“ für meinen Versuch, einen auch nur andeutungsweise besser bezahlten Job zu finden wurde mir erst mal mein Arbeitslosengeld brutal gekürzt. Danke auch, ihr Arschgeigen!

Mein Unbehagen, wenn ich an Deutschland denke, geht jedoch weit über die übertrieben rigide Berufswelt hinaus. Mir war bereits in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass sich mein Geburtsland in eine Richtung entwickelt, die mit Fug und Recht als bedenklich bezeichnet werden kann. Da ist einerseits die immer schneller fortschreitende Überalterung des Landes. Dies betrifft nicht nur die Entscheidungsträger in Deutschland, die gefühlt seit meiner Kindheit steinalt sind, sondern auch immer größere Teile der Wählerschaft. Dies führt wiederum dazu, dass Parteien, insbesondere die großen „Volksparteien“, immer stärker versuchen, diese Wählerschaft für sich zu gewinnen, und dafür auch gerne mal die jüngeren Generationen mit Füßen treten. Das erschreckend gute Abschneiden von Armin Laschet, einem drittklassigen Landespolitiker, der daherkommt als hätte jemand Donald Trump auf Wish bestellt, und dessen weinselige Selbstgefälligkeit gerade bei Rentnern offenbar sehr gut ankam, ist ein alarmierendes Anzeichen dafür, dass praktische alle Menschen unter 40 in Deutschland mittlerweile nur noch als Melkkühe angesehen werden, die die Rentenkasse füllen sollen und ansonsten die Klappe zu halten haben.

Als wäre dies allein nicht schon schlimm genug sorgt die fortschreitende Fossilisierung Deutschlands auch dafür, dass dringend erforderliche Digitalisierungsinitiativen entweder nur halbherzig verfolgt oder gleich komplett ignoriert werden. Für viele Amtsleiter die kurz vor der unverdienten Frühpensionierung stehen ist das Internet ja immer noch #Neuland und eine Modeerscheinung. De-Mail, elektronische Gesundheitskarte, das elektronische Anwaltspostfach und noch viele andere derartige Projekte sind massiv verspätet, extrem schlecht designt, oftmals mit Sicherheitslücken, die groß genug sind, um mit einem Airbus A380 durchzufliegen, und deutlich überteuert. Doch das Problem betrifft mehr als nur die Digitalisierung der Verwaltung. Das Thema Internet und Digitalisierung wird generell entweder stiefmütterlich oder gleich komplett feindselig betrachtet. Man muss sich nur mal den andauernden Amoklauf der Datenschutz-Taliban oder die unendliche Geschichte um die Störerhaftung anschauen, um zu merken, dass Deutschland den digitalen Anschluss längst verpasst hat.

Ähnlich sieht es im Bereich Energiewandel und Klimapolitik aus. Im letzten Jahrzehnt hat Deutschland, auf „anraten“ der großen Energiekonzerne konsequent den Ausbau von Solar-, und Windenergie sabotiert und gleichzeitig den Ausbau von Kohlekraftwerken und Tagebauen vorangetrieben. Treibende Kraft in Nordrhein-Westfalen war ein gewisser Armin Laschet, der dafür auch gerne mal über Leichen ging, aber das nur am Rande. In einer Zeit, in der der Klimawandel immer offensichtlicher wird, und in der die tödlichen Auswirkungen dieses Klimawandels auch in Deutschland immer deutlicher zu spüren sind, gibt es keinen besseren Ausdruck für die abgrundtiefe Verachtung gegenüber unseren Nachkommen als dies. Und es ist nicht nur die Energiepolitik. Da ist das Thema Tempolimit, dass in Deutschland ungefähr so neutral betrachtet wird wie das Recht, Schusswaffen zu tragen in den USA. Aus mir unerfindlichen Gründen ist es für große Teile der deutschen Bevölkerung genauso ein Zeichen von Freiheit, mit 180 in ein Stauende zu rasen, wie es in den USA ein Freiheitssymbol ist, mit einem Sturmgewehr eine High School in einen Friedhof zu verwandeln. 

Aber es wird noch schlimmer. Die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl haben einmal mehr deutlich gemacht, dass der Faschismus in Deutschland längst wieder salonfähig ist. Dass sich die AfD, eine Partei, die ganz offen Neonazis und Faschisten auf ihre Wahllisten setzt, die mit unverhohlener Freude andere Menschen den Tod wünscht und vom Verfassungsschutz beobachtet wird, über zwei Wahlperioden im deutschen Bundestag halten kann ist einfach nur ekelhaft. Daran ändert auch die Tatsache, dass sie bei der Bundestagswahl 2021 Einbußen erlitten hat, nichts. Die dadurch fortschreitende Legitimierung rechtsextremer Ansichten und Parolen hat mittlerweile erste blutige Früchte getragen. Ob die Ermordung von Walter Lübke, der Anschlag auf die Synagoge in Halle, die Amokläufe von Hanau und München oder auch die Ermordung eines Tankwarts in Idar-Oberstein, all dies lässt sich direkt auf die Erstarkung rechtsextremer Elemente in der Gesellschaft zurückführen. Und auch abseits tödlicher Gewalt sind organisierte Droh-, und Hetzkampagnen gegen Bürgerrechtler, Journalisten und Andersdenkende mittlerweile fast zum Alltag geworden.

Dabei ist es längst nicht mehr nur die AfD, die in dieser Richtung agitiert. Längst haben auch Teile der Union damit angefangen, mit dem rechten Ende des politischen Spektrums zu kokettieren. Unter dem Deckmantel der sogenannten Werteunion versuchen sich Teile der CDU mittlerweile ebenfalls am Rechtspopulismus. Dass hierbei ganz offen Neofaschisten und Verschwörungsförderer wie Hans-Georg Maaßen oder Max Otte als Gallionsfiguren aufgestellt werden zeigt ganz deutlich, wo die Werteunion ihr politisches zuhause sieht. Es scheint, als könnte die Union ihr Erbe als Nachfolger der Zentrumspartei nicht abschütteln. Und ganz nebenbei, wenn man sich die Positionen dieser selbsternannten Werteunion mal anschaut, dann kommt man nicht umhin, die schiere Eleganz dieses Namens zu bewundern. Ein derartiges Paradebeispiel für Neusprech habe ich vorher noch nie gesehen!

Und dann gibt es da noch Springer. Dass die Axel-Springer-Gruppe im Allgemeinen und die Bild im speziellen ein fragwürdiges Verhältnis zu Fakten oder überhaupt menschlichem Anstand hat, ist ja leider nichts neues. In den letzten Jahren hat diese Agitation jedoch einen neuen „Höhepunkt“ erreicht. Selbst ehemals erträgliche Zeitungen wie die Welt sind mittlerweile zu reinen Kampfblättern verkommen, während sich führende Kräfte von Axel Springer, wie Ulf Poschardt, Julian Reichelt, oder sogar Springer-Chef Matthias Döpfner immer mehr an volksverhetzender und neofaschistischer Rethorik vergreifen. Dass der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt mittlerweile wegen sexueller Übergriffe seinen Posten räumen musste, ist dabei kein Zeichen der Entwarnung. Denn hier bedurfte es erst kritischer Artikel in der New York Times, um den Ball ins Rollen zu bringen. Ein Enthüllungsbericht auf dem Nachrichtenportal Ippen-Investigativ, ehemals Buzzfeed Deutschland, wurde auf Druck des Verlagschefs Dirk Ippen unterdrückt.

All dies alleine wäre schon erschreckend genug. Doch dann kam die Pandemie. Was sich seitdem getan hat kann man am besten mit dem Moment vergleichen, wenn man einen Stein umdreht und das ganze Gewürm sieht, was sich darunter häuslich eingerichtet hat. Dass Deutschland deutlich wissenschaftsfeindlicher ist als andere Länder ist keine neue Erkenntnis. Die frühen Erfolge der Grünen sind auf diesem Fundament gebaut. Doch die schiere Realitätsverweigerung, die seit dem Beginn der Pandemie und der damit einhergehenden Eindämmungsmaßnahmen zu beobachten ist, lässt mich ganz offen an der Vernunftbegabung der Menschheit zweifeln! Grundlegende wissenschaftliche Prinzipien werden entweder nicht verstanden oder bewusst falsch ausgelegt. Die Inbrunst, mit der Falschmeldungen verbreitet und gleichzeitig kritische Stimmen attackiert werden, ist alarmierend. Die Verschwörungsmythen, die oft als „Erklärung“ hinzugezogen oder zusammengesponnen werden, sind dabei oftmals offen antisemitisch und/oder rassistisch, trotzdem werden die Anstifter dieser Theorien oftmals als Heilsbringer angesehen, und Epidemiologen als gleichwertig gegenübergestellt. 

Und doch wäre es falsch, die Quer“denker“ hier als weitere neofaschistische Gruppierung darzustellen. Erschreckenderweise finden sich in allen Bereichen des politischen Spektrums Anhänger dieser „Bewegung“, auch wenn sich rechtsextreme Gruppierungen natürlich für keinen Verschwörungsmythos zu schade sind. Aber auch Kapitalismuskritiker, Umweltschützer, Naturheilkundler und Anhänger „alternativer“ Medizin, wobei es gerade hier oftmals Überschneidungen mit rechstextremen „Blut-und-Boden“-Gruppen gibt, Homöopathen und sonstige alternativ eingestellte Menschen sind hier zu finden, genauso wie der typisch deutsche Dauernörgler und Besserwisser, der natürlich immer alles viel besser kann als „die da oben!“ All diese Gruppen eint eine fast schon krankhafte Ablehnung wissenschaftlicher Prinzipien und moderner technischer Errungenschaften. Bizarrerweise umfasst diese Ablehnung aber fast nie moderne Computer oder Smartphones, welche Schlüsse man daraus ziehen kann ist jedem selbst überlassen. Derartige Gruppierungen sind dabei an sich nichts neues. Über die letzten Achtzehn Monate haben sich aber immer wieder prominente Musiker und Schauspieler gefunden, die diese kruden Thesen nicht nur mittragen, sondern sogar noch weiterverbreiten. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet Nena an der Spitze dieser Bewegung steht, die Dame ist ja bereits seit den 1980ern in einer Parallelwelt unterwegs. Da sie allerdings auch ein Millionenpublikum erreicht, ist es mehr als nur problematisch, dass sie sich für derartig krude und menschenverachtende Ansichten hergibt. So viel zum Thema „Licht und Liebe.“

All dies stellt leider nur die Spitze des Eisbergs dar. Das Thema Lobbyismus allein würde vermutlich noch zwanzig A4-Seiten füllen, zusätzlich zu den drei Seiten, die dieser Blogpost jetzt schon umfasst. Ja, ich schreibe diese Artikel in Microsoft Word vor, so viel Vertrauen habe ich in das Backend von blogger.com dann doch nicht. Dann gibt es noch die Unterwanderung vieler Landespolizeibehörden durch rechtsextreme Gruppen, eine mangelnde effektive Kontrolle der Polizei, die zunehmende Gewaltbereitschaft in weiten Teilen der Bevölkerung, eine immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, es ist schier zum Verzweifeln. Das größte Problem ist dabei aber, dass es nicht so aussieht, als ob sich in den nächsten Jahren etwas Grundlegendes an der Situation ändern wird. Der demographische Wandel hat dafür gesorgt, dass Kinder und Jugendliche, aber auch jüngere Erwachsene mittlerweile eine bedrohte Spezies sind, und die zunehmende Stratifizierung und Erstarrung der Verwaltungen wird ihr übriges dazu tun, dringend nötige Veränderungen im Keim zu ersticken. 

Eine Rückkehr nach Deutschland stand für mich schon außer Frage, als ich an einem sonnigen Augusttag im Jahr 2012 in Frankfurt für meinen Flug nach Cork eingecheckt habe. In den knapp zehn Jahren seit diesem ersten Flug scheint Deutschland als Staat und als Gesellschaft alles getan zu haben, um mich in dieser Überzeugung zu bestätigen. Mittlerweile ist ein Punkt erreicht, an dem ich mich frage, ob Deutschland als Nation auf längere Zeit überhaupt noch überlebensfähig ist, oder ob dieses Land bereits in der Anfangsphase eines endgültigen Zusammenbruchs befindet. Für mich bedeutet dies, dass ich den Kontakt zu meinem Geburtsland erst mal nur auf das beruflich nötige beschränke. Für mehr als Geschäftsreisen, kurze touristische Besuche sowie gelegentliche Termine bei der Botschaft in Dublin ist mir meine geistige Gesundheit einfach zu schade!

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