1. Mai
Dieselbe Klientel, die mich gestern bei meiner Ankunft aus der Lounge vertrieben hatte, verwandelt das, eigentlich immer sehr gute Frühstücksbuffet in eine Szenerie wie aus einem Drei-Sterne-Schuppen auf Mallorca, mit langen Schlangen ohne Rücksicht auf Verluste. Ich bin eigentlich nur verwundert, dass die besten Plätze nicht schon mit Handtüchern blockiert waren. Dementsprechend schnell ging es dann nach dem Frühstück gleich raus in die Innenstadt, nur um sofort zu bemerken, dass ich tatsächlich in Deutschland bin.
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Sowohl die Paulskirche... |
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...als auch der Römer wirkten an diesem Feiertag wie verwaist, zumindest morgens. |
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Auf der Fressgass waren zumindest Cafés und Restaurants geöffnet. |
Im Gegensatz zu Irland, wo selbst an Feiertagen viele Geschäfte zumindest halbtags geöffnet sind, war in Frankfurt so ziemlich alles geschlossen, zumindest was die Geschäfte anging. Restaurants, Cafés und ähnliches waren zwar allesamt geöffnet, aber trotzdem wirkte die Stadt, als hätte man die Bürgersteige hochgeklappt. Dieser Eindruck wurde durch die Tatsache, dass viele Straßenbahnen und Stadtbahnlinien entweder nur eingeschränkt oder gar nicht verkehrten, nur noch verstärkt! Dies war alles dem Datum geschuldet, da am 1. Mai das traditionelle Frankfurter Radrennen anstand, was natürlich zu Straßensperrungen noch und nöcher führte.
Und dann war das ja noch der „andere“ 1. Mai, der „Tag der Arbeit“, „Krampftag der Arbeiterklasse“, oder wie immer man das Ding sonst noch nennen will. Seit Jahrzehnten nutzen linksgerichtete politische Organisationen den 1. Mai für groß angelegte politische Kundgebungen, Demonstrationen oder ähnliche Aktivitäten. Dementsprechend waren der Römer, die Hauptwache und Teile des Paulsplatzes von Kommunistischen Gruppierungen aller Art, Berufsrevolutionären und Aktivisten der Linkspartei in Beschlag genommen. Überall waren rote Fahnen zu sehen, Hammer und Sicheln noch und nöcher, sowie Losungen, die direkt aus dem Moskau der 1980er-Jahre zu stammen schienen. Der Ursprung allen Übels war natürlich der „böse“ Westen und die „Diktatur der NATO“, während Russland selbstverständlich als einziger wahrer Kämpfer gegen den Faschismus allein auf weiter Flur für die Freiheit kämpfte. Wieso scheint der so oft beschworene Internationalismus der Linken immer in Osteuropa zu enden? Wieso wird die Arbeiterbewegung heutzutage vor allem von Menschen angeführt, die aussehen, als ob sie noch nie einen Arbeitsplatz von innen gesehen haben und allem Anschein nach das Prinzip der Körperhygiene als ein Komplott des Klassenfeindes ansehen, dass eingeführt wurde, um die Arbeiterklasse zu spalten und unter Kontrolle zu halten? Wann ist meine politische Heimat derart verwahrlost?
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Der Trubel auf dem Opernplatz entsprang dem an diesem Tag stattfindenden großen Radrennen in Frankfurt. |
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Die Alte Oper war dabei ausnahmsweise mal nicht das Zentrum des Interesses. |
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Beim Opernturm haben die Architekten wirklich ganze Arbeit geleistet. |
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Die scheinbare Ruhe auf der Hauptwache trügt. Aus allen Richtungen strömten bereits Teilnehmer zur dort angesetzten Kundgebung zum 1. Mai. |
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Das MyZeil-Einkaufszentrum fasziniert mich seit seiner Eröffnung 2009. |
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Es ist in meinen Augen bezeichnend dass ausgerechnet die Paulskirche, eine der Geburtsstätten der deutschen Demokratie, von den Demos zum 1. Mai komplett links liegen gelassen wurde. |
Aber weiter, das Thema linker Aktivismus reicht aus, um einen ganzen Blogpost zu füllen. Die Kombination aus den Kundgebungen und des Radrennens sorgte jedenfalls dafür, dass es quasi unmöglich war, einfach aus Frankfurt rauszukommen. Meinen ursprünglichen Plan, gleich am 1. Mai nach Speyer zu fahren, konnte ich demnach in die Tonne treten. Also ging es erst mal durch die Innenstadt, von der Paulskirche über die Alte Oper und Hauptwache auf die Zeil, Frankfurts Haupteinkaufsstraße. Wegen des Feiertags wirkte diese natürlich wie tot, trotz allem kam ich nicht umhin festzustellen, wie heruntergewirtschaftet Teile der Innenstadt wirkten. Ehemalige Ankermieter wie Karstadt, jetzt Galeria, oder Conrad hatten entweder bereits vor längerer Zeit geschlossen oder waren mitten in der Geschäftsabwicklung, ehemalige Paradeobjekte waren gefüllt mit Pop-Up-shops oder Galerien, die wie auf den letzten Drücker zusammengeklöppelt wirkten.
Auf dem Weg zum Mainufer, einer Gegend der Stadt, die ich während meiner Zeit im Rhein-Main-Gebiet sträflich vernachlässigt hatte, führte mein Weg mich auch zwangsläufig durch die in den letzten Jahren wieder aufgebaute Frankfurter „Altstadt“, getrieben vor allem von dem Versuch, die Kundgebung auf dem Römer zu vermeiden. Die „Altstadt“ ist ein Versuch, einen Teil des Bauzustands wiederherzustellen, der Aufgrund alliierter Luftangriffe im zweiten Weltkrieg zerstört worden war. Nachdem es diverse Jahre nach dem Krieg brach gelegen hatte, wurde in den 1970ern das Technische Rathaus der Stadt Frankfurt errichtet worden, ein Paradebeispiel des deutschen Behördenbrutalismus und ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit. Ich hab das Ding immer gemocht, erst recht da ich dem Brutalismus so oder so nicht abgeneigt bin. Vielen Frankfurtern war das Gebäude jedoch ein Dorn im Auge. Anfang der 2000er schließlich entschied sich die Stadt dazu, das technische Rathaus abzureißen und, soweit im Rahmen der mittlerweile massiv angewachsenen Infrastruktur möglich, den Bauzustand von vor dem zweiten Weltkrieg wiederherzustellen. Ich war damals schon kein Fan des Projekts, wollte mir das Endresultat trotzdem mal anschauen.
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Wenn die Architekten nicht dabei sind, den mittelalterlichen Stil ein zu eins nachzuäffen, kann man der restaurierten "Altstadt" fast schon etwas abgewinnen. Moderne Interpretationen wie dieses Gebäude haben immerhin etwas. |
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Oftmals dominiert aber eher Disneyland als Mittelalter... |
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Weniger als zehn Jahre alt, aber trotzdem wirkt dieses Ensemble einfach nur spießig und bedrückend, was vermutlich aber auch an einem Mangel an Bäumen liegt. |
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Dieser einsame Baum und die Außentische des Cafés im Hintergrund zaubern immerhin etwas Leben in diese sterile Kulisse. |
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Hier haben die Architekten immerhin versucht, moderne Elemente sichtbar einfließen zu lassen. |
Das positive zuerst. Die Bauausführung war deutlich höher, als ich es erwartet hatte. Es war offensichtlich, dass man auf modernste Baumaterialien zugegriffen hatte. Gleichzeitig schien es so, als hätte man während des Projekts darauf geachtet, zumindest ein gewisses Maß an Barrierefreiheit mit in das Projekt einfließen zu lassen. Damit endeten aber such schon die positiven Eindrücke. Die durchgehenden geraden und sauberen Linien, die Materialien, all dies machte klar, dass es sich bei dieser „Altstadt“ um ein Produkt des 21. Jahrhunderts handelte, und nicht um ein natürlich gewachsenes Gebilde. Die Geschäfte und Restaurants wirkten auch eher, als ob sie nach einem detaillierten Masterplan vergeben wurden, anstatt einer organischen Entwicklung entsprungen zu sein. Und im Endeffekt sind es diese Künstlichkeit und die mit ihr einhergehende Unehrlichkeit, die mir bei diesem Projekt sauer aufstoßen. Die Frankfurter „Altstadt“ ist eine Altstadt vom Reisbrett. Hier wird eine Geschichte vorgegaukelt, mit der die aktuellen Gebäude rein gar nichts zu tun haben! Im Endeffekt ist sie nichts weiter als ein deutschtümelndes, in Fake-Fachwerk gehülltes Einkaufszentrum, das geschichtsvergessenen Touristen oder vergangenheitsverliebten Pseudopatrioten eine neunhundertjährige Geschichte vorgaukelt, aber gleichzeitig die jüngere Geschichte in Äbbelwoi-getränkter Heimstseligkeit ertränkt. Einfach nur widerwärtig! Das technische Rathaus war wenigstens ehrlich!
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Das Mainufer hat einfach was. Warum bin ich zu meiner Frankfurter Zeit nicht öfters hergekommen? |
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Die Skyline von Frankfurt ist schon ziemlich zwiegespalten. Auf der einen Seite diese fast schon amerikanisch anmutende Silhouette... |
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...auf der anderen Seite überragt nur der Dom die Mietskasernen aus den 1950ern. |
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Der Eiserne Steg wirkt mit der Skyline im Hintergrund gleich viel beeindruckender. |
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Irgendwas erinnert mich hier an Jenga, aber ich komm einfach nicht drauf... |
Nach diesem Exkurs in die moderne deutsche Geschichtsvergessenheit ging es endlich zum Mainufer. Wie bereits erwähnt hatte ich diesen Teil von Frankfurt während meiner Zeit dort kaum wahrgenommen. Heute könnte ich mir dafür in den Allerwertesten treten! Die Ausblicke auf die Frankfurter Skyline jedenfalls waren den Abstecher alleine schon wert, erst recht jetzt, Anfang Mai, wo überall alles Erdenkliche grünte und blühte. Der Eiserne Steg, eine Fußgängerhängebrücke über den Main, den ich ebenfalls nie wirklich besucht oder benutzt hatte, führte mich über den Main nach Sachsenhausen, bevor es nach einem gemütlichen Spaziergang über die Untermainbrücke wieder zurück in die Altstadt ging. So nervig das Radrennen am Anfang des Tages auch gewesen war, als ich über die leeren Straßen zurück in die Stadt ging machten die ganzen Sperrungen das Fotografieren deutlich leichter. Es ist ja bekanntlich nichts Schlechtes, wo nicht auch was Gutes dran ist.
Wieder im Hotel angekommen, hatte ich noch ein paar Stunden totzuschlagen bis zu einer Verabredung mit einem Freund und ehemaligen Manager aus meiner Zeit bei DHL, also machte ich mich daran, meine Fotos zu ordnen und meine Gedanken in Notion zu sammeln. Leider konnte sich mein MacBook nicht im Hotel-WLAN anmelden. Trotz mehrerer Versuche brachte ich es um’s Verrecken nicht fertig, die Captive Page für den Login aufzurufen. Ich würde erst am nächsten Tag raffen, dass es meine DNS-Einstellungen waren, die alles sabotierten.
Der Abend klang jedoch deutlich entspannter und konfliktfreier aus als meine Gefechte mit dem Hotel-WLAN. Ich hatte mich mit einem Freund und ehemaligen Manager aus meiner DHL-Zeit verabredet, und so klang der Abend in einer Bar an der Münchener Straße im Frankfurter Bahnhofsviertel aus, mit viel Gelächter gutem Bier, und der Erkenntnis, dass seit meinem Abflug 2012 doch verdammt viel Wasser den Main heruntergeflossen ist.
Zum dritten Teil dieser Serie geht's hier entlang!
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